piwik no script img

Neukölln literaturfähig?

■ Über den eher mißlungenen Versuch, das ehemalige »Rixdorf« mit Germanistenhänden auf den Sockel der Hochkultur zu heben

Literatur und Neukölln hieß die heikle Konjunktion, der man im Rahmenprogramm zum Neuköllner Kulturpreis gerecht werden wollte. Im Festakt hatte man die Verlagsarbeit von Karin und Bernd Kramer gewürdigt — die bedankten sich mit ihrem schönen Buch über Denkmalsdemontage. Der Rest des Programms, so hatte man es sich im Neuköllner Kulturamt wohl so gedacht, könne dann der Denkmalspflege vorbehalten sein.

Das ging gründlich schief: Der Versuch, Neukölln mit Germanistenhänden auf den Sockel der Hochkultur zu heben, scheiterte ungewollt dekonstruktiv: In drei Vorträgen, verantwortet vom FU-Dozenten Michael Schmidt, wurde ein kolossales Fundament aus literarischer Zitage errichtet — mit dem Erfolg, daß sein Sujet selber als Zitat verendete. Denn natürlich fand Dr. Schmidt viel Wissenswertes in seinem Zettelkasten: Zuckmayers »Hauptmann von Köpenick«, Walter Mehrings »Müller«, Jakob Wassermanns »Etzel Andergast« und Alfred Anderschs »Efraim« — alle streiften sie Neukölln: Wilhelm Voigt, der Hauptmann, hatte vor Ort 'ne Seifenhändlerin als Schwester, Georges Efraim besuchte den Kohlenhändler Eduard Krystek in der Treptower Straße (weil er was mit seiner Tochter hatte), Etzel Andergast siedelte sich utopisch in Britz an, und Mehrings Etzel erhaschte in Neukölln zwar »das deutsche Schicksal in all seiner Tragik, all seiner Wunderlichkeit«, aber das wäre ihm woanders vermutlich genauso passiert.

Das alles ist Wissen fürs Kleinstadtarchiv und für ein gebildetes Zitat an der richtigen Stelle — mehr nicht. Literatur auf der Durchfahrt gewissermaßen, mit ein paar Straßennamen und viel Milljöh, eine Ansiedlung von Geschichten, die von woanders herkommen. Neukölln durfte das alte Urteil über die Ortlosigkeit deutscher Literatur nur aufs Schärfste bestätigen, und da dies nicht ausreicht für dreimal anderthalb Stunden Vortrag, zitierten die Referenten zum Trost noch kräftig Biografisches, Dissertationen und große Namen — vom »klugen faschistischen Carl Schmitt« über Weber, Simmel bis zum üblichen Theweleit — an den Ort des Geschehens.

Zum runden Abschluß der Veranstaltung gab Michael Schmidt dann — »weil das nicht so lang ist« — noch ein Gedichtchen der Neuköllner Bibliothekarin Christel Gunde zum besten — »Türwärts«, wie es darin so schön heißt: Ein Tropfen »hier und heute«, bevor man sich auf ein Bier im Kino-Café traf.

Daß über alldem Neuköllns reale Dichterfürsten nicht vergessen wurden, dafür sorgten statt dessen die beiden vom Karin Kramer Verlag. Sie holten Thomas Kapielski, Autor der gerade erschienenen — und am Platz spielenden — Romänchens »Aqua botulus« in den Neuköllner Festsaal. Was dort so erzählt wird von Neukölln, vom Dableiben und Wegfahren, das hätte vielleicht auch gereicht: »Der möglichst kleine körperliche Raum war ich ‘ohne alles‚, das darum befindliche Pluriversum war zeitweise mal das ‘Leinestübchen‚ in Neukölln an der Leinestraße. Die Größe der Erdkugel wird sowieso überschätzt, sie schrumpft von sich aus auf einen zu. Ich bin damals nie verreist, da hat nicht mal ein antitouristischer Impetus dahinter gesteckt. Obwohl dort ins ‘Leinestübchen‚ auch solche weltläufigen Erfahrungen mit reingebracht wurden, und man hat alles mitbekommen; einmal hat dort einer, der gerade von irgendeinem komischen Abenteuerurlaub zurückgekommen war, behauptet: ‘Dynamitfischen ist Männersache!‚ Wörtlich. Und irgendwer hat darauf geantwortet: ‘Wat dem een sin Uhl, is dem andern sin Nachtigall.‚ So unterschiedlich waren die da.« Fritz von Klinggräff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen