: Ist Demokratie unwirtschaftlich?
Mit einem Gruselkabinett von Maßnahmen bis hin zum Ermächtigungsgesetz versucht Italiens Regierung das Land zu sanieren/ Deutschlands Notstandsgesetze als mißverstandenes Vorbild ■ Aus Rom Werner Raith
Das Allheilmittel für die Zukunft hat Carlo Censi schon parat. Er legt den Zeigefinger an die Schläfe und sagt: „Päng“. Will er sich umbringen? Natürlich nicht. Der Futtermittelvertreter aus Cisterna hängt mit seinen 56 Jahren noch sehr am Leben, und zwar an einem möglichst guten. Auch die Regierung will er nicht gerade abmurksen, „obwohl die an allem schuld ist“. Nein, Carlo Censi wird seine beiden Reitpferde umbringen. Auch seinen Lancia Dedra wird er ausmustern, dazu seine Eigentumswohnung auf die Tochter überschreiben. Das Mobiltelefon hat er schon abgeschafft, die Sparbücher aufgelöst und dafür in Frankfurt ein paar Daimler-Aktien erstanden, die er bei einem Freund in Darmstadt deponiert. „Schluß, aus“, sagt er. „Es reicht.“ Und das denken derzeit in Italien viele.
Die Regierung Amato hat sich nämlich in dieser Woche ein ganzes Maßnahmenpaket einfallen lassen, um die Staatskassen zu füllen. Schließlich muß sie mittlerweile statt der beim Münchner G-7-Gipfel im Juli noch vorgesehenen umgerechnet 50 Milliarden Mark jetzt 120 Mrd. DM hereinbringen, weil sich ständig neue Löcher im Budget auftun.
Insbesondere zwei der gut vierzig Einzelaktionen sind mittlerweile selbst ihren ursprünglichen Verfechtern nicht mehr ganz geheuer: eine Art Ermächtigungsgesetz für die Regierung in wirtschaftlichen Notzeiten und ein „Einkommensmesser“ zur Besteuerung der BürgerInnen.
Das vornehm „Gesetz für wirtschaftliche Notstandsmaßnahmen“ genannte Ermächtigungsgesetz soll im Falle einer massiven ökonomischen Krise das Parlament total entmachten und dem Ministerpräsidenten unumschränkte Vollmacht für Eingriffe in die Wirtschaft geben; von der Festlegung der Zinsen für alle Banken bis zum Lohn- und Preisstopp, von der Außerkraftsetzung von Tarifverträgen bis zur willkürlichen Festsetzung von Pensionsgrenzen und Wochenarbeitszeiten. Auszurufen ist dieser Notstand, wenn ihn der Gouverneur der Banca d'Italia, der italienischen Notenbank, für nötig befindet.
Schließlich, so begründet Amato sein Vorhaben, habe „auch die Bundesrepublik Deutschland, eines der demokratischsten Länder der Gegenwart, derartige Notstandsgesetze und eine ganz analog mit Sonderrechten ausgestattete Bundesbank“. Eine glatte Lüge: Die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze beziehen sich auf den politischen Spannungsfall, den Zusammenbruch territorialer Kontrolle infolge terroristischer Anschläge oder kriegerischer Einfälle von außen und auf unabänderliche Hinderungsgründe für den Zusammentritt des regulären Parlaments. Gerade der wirtschaftliche Notstand ist darin nicht vorgesehen. Die italienische Verfassung kennt den Notstandsfall überhaupt nicht.
Auch das deutsche Bundesbankgesetz kann nicht als Argument dienen — die Deutsche Bundesbank ist ein in ihren Entscheidungen autonomes Institut mit einem Entscheidungsgremium, auf das die Regierung nicht den mindesten Einfluß hat. Im Gegensatz dazu ist die italienische Nationalbank ein Instrument der Regierung. Die vorgesehene Prozedur würde faktisch bedeuten, daß sich die Regierung selber bescheinigt, es herrsche Notstand, um dann mit Notstandsmaßnahmen zu regieren.
Wenn man schon eine deutsche Parallele heranziehen möchte, das erkennen mittlerweile Experten auch in Italien, dann den berühmten Notstandsartikel 52 der Weimarer Verfassung: Der gab dem Staatspräsidenten die Möglichkeit, den Kanzler gegen das Votum des Parlaments zu halten und ihn mit Notstandsverordnungen ohne Billigung durch die Volksvertretung beliebig lange regieren zu lassen. Die ständige Anwendung dieses Artikels 1931 bis 1933 war die Einleitung zur Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Die andere hochgelobte Sanierungsmaßnahme, der „Einkommemsmesser“, entwickelt sich bei näherer Betrachtung zur Lachnummer. Eine mit hunderterlei Rubriken ausgestattete Schablone soll sozusagen über Sekundärqualitäten ermitteln, wieviel jemand realiter verdient. Da muß er oder sie so ziemlich alles eintragen, was nach Ansicht der Finanzexperten Indikator für den Lebensstil ist: so etwa die Anzahl der Telefone, die Zahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen sowie deren Lage; Anzahl und Kubikzahl von Kraftfahrzeugen, eventuell vorhandenen Segel- oder Motorbooten „von welcher Länge?“, die Haltung von Reit- oder Rennpferden.
Wer in einem Dreizimmerappartement im römischen Stadtinneren wohnt, so eine Musterrechnung des Finanzministeriums, dazu einen Wagen der 1,4-l-Klasse fährt und sich ein Reitpferd hält, muß mindestens 28 Millionen Lire (umgerechnet ca. 35.000 DM) Jahreseinkommen erklären — sonst kommt, automatisch, die Steuerfahdnung ins Haus. Hat diese Person neben der Stadtwohnung noch ein Ferienappartement, einen Zweiliterwagen und ein Acht- Meter-Boot, geht's nicht unter umgerechnet 120.000 DM ab.
„Denen ist ganz gleich, ob meine Pferde alte Klepper sind, die nicht mal den Metzgerpreis wert sind“, flucht Carlo Censi, „ob ich sie gratis von meinem Vater geerbt habe oder ob es sich um Superspringer für Olympia handelt.“ In den Schlachthöfen der Nation mehren sich die Einlieferungen junger, gesunder Pferde „geradezu explosionsartig“, wie der Roßschlachter von Pontinia nahe Rom meldet.
Ähnlich verdattert registrieren die Agenturen „einen fast senkrechten Anstieg“ der Ummeldungen von Kraftfahrzeugen — in Italien eine recht langwierige und aufwendige Prozedur. „Und zwar allesamt auf uralte Omas und Opas“, so ein Agent in Como. „Die Leute tragen jetzt wie die wilden ihre Zweitautos auf Verwandte ein, um damit den vom Einkommensmesser festgestellten Lebensstil herabzudrücken.“
Doch selbst wenn der „Einkommensmesser“ die in Italien mit geradezu sportlichem Eifer betriebene Steuerhinterziehung in den Griff zu bekommen vermag, sehen Experten darin „keinerlei Zugewinn für die Ökonomie des Landes“, so der ehemalige Leiter der Finanzkommission des Parlaments, Giuseppe D'Alema: „Hat einer Schwarzgeld, dann entgeht zwar dem Fiskus eine gewisse Einnahme. Aber solange der Mensch seine Piepen in Autos, Pferdehaltung oder Motoryachten steckt, kurbelt er damit die Wirtschaft an.“ Wenn aber die Leute nicht länger ihr Geld für sichtbare, also durch Arbeit produzierte Güter ausgeben, sondern in unproduktiven Papieren anlegen, hätte das Land davon allenfalls Arbeitslosigkeit. „Das aber drückt erneut die staatlichen Einnahmen und erhöht die Ausgaben.“
Carlo Censi weiß noch nicht so genau, ob er bei einer Steuerverweigerung mitmachen wird, zu der die rechtsgerichteten oberitalienischen „Ligen“ aufrufen wollen. „Vielleicht“, sagt er und blinzelt unschuldig in die Sonne, „habe ich ja, nachdem ich alles abgeschafft habe, was die interessiert, gar keine Steuern mehr zu zahlen.“ Möglicherweise kann er sich dann zu einem Wettbewerb melden, den ein Rundfunkkomiker soeben vorgeschlagen hat: „Die Wahl des typischsten italienischen Steuerzahlers“. Besondere Kennzeichen: „Profunder Kenner aller Fiskallöcher, Besitzer einer geradezu unendlichen Verwandtschaft mit puzzleartig verteiltem Reichtum, professioneller Jammerer — und in jedem Falle enger Freund eines Ministers, Staatssekretärs oder Finanzbeamten, der ihm gegen saftiges Entgelt erklärt, wo er sein Geld anlegen kann, ohne daß es ihm die Steuerfahndung draufkommt.“
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