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Polen übt sich in Zurückhaltung

In Warschau ist man bemüht, die Emotionen nicht hochschlagen zu lassen/ „Schuld am Rassismus hat der Kommunismus“  ■ Aus Warschau Marzenna Guz-Vetter

Eine „Spirale der Feindschaft“ nannte die Zycie Warszawy ihren jüngsten Bericht aus Quedlinburg. „Asyl im Feuer“ schrieb die Gazeta Wyborcza und stellte auf der ersten Seite ein Kalendarium der Straßenkämpfe mit einer Deutschlandkarte zusammen. Fast täglich findet man Reportagen über die rassistischen Ausschreitungen in der Ex-DDR. Allerdings scheint die Entwicklung in Deutschland gegenwärtig für Reporter interessanter zu sein als für politische Kommentatoren. Denn wo sich die größte Haßwelle gegen Ausländer in der deutschen Nachkriegsgeschichte bei Polens unmittelbaren Nachbarn ausbreitet, muß die Zurückhaltung der polnischen Politiker und Medien nachdenklich machen.

Vielleicht will man allzusehr dem Vorwurf entgehen, man verhielte sich wie einst die Kommunisten, die jeden Rechtsruck in der früheren Bundesrepublik ideologisch zu „verwerten“ suchten. Mit einer gewissen Schadenfreude konstatieren manche Publizisten auch, an den Gewalttaten in der Ex-DDR sei das Erbe des Kommunismus schuld. Im allgemeinen von der Befürchtung, die Ausschreitungen der Skinheads könnten langfristig zu einer Wiedergeburt des Nationalsozialismus führen. Und die Zycie Warszawy warf unlängst einigen polnischen Politikern vor, sich „durch das Aufbauschen antideutscher Stimmungen profilieren zu wollen“.

Doch auch wenn derartige Stimmen in der Minderheit sind, so haben die fortdauernden Übergriffe in Deutschland die Medien inzwischen doch dazu gebracht, etwas eingehender die Lage westlich der Oder zu analysieren. Immer öfter weist man auch auf die lasche Reaktion der deutschen Polizei und Strafjustiz gegenüber den Gewalttätern hin. Mit weitergehenden Überlegungen über die Konsequenzen für das deutsch- polnische Verhältnis hält man sich vorerst jedoch völlig zurück. Ebenfalls werden die möglichen Nachteile für die Zusammenarbeit in den grenznahen Gebieten kaum diskutiert. Man scheint bemüht, Emotionen nicht hochgehen zu lassen. So wurde unlängst ein Zwischenfall am Grenzübergang in Görlitz umgehend von der Nachricht relativiert, im Vergleich zu 1991, als es 60 Überfälle auf polnische Autos gab, sei die Zahl der Übergriffe in diesem Sommer fast auf null zurückgegangen.

Wie die Bevölkerung in Polen auf die Ereignisse in Deutschland reagiert, ist schwer zu sagen. Bezeichnenderweise ist bislang bei keinem der zwei großen polnischen Meinungsforschungsinstitute CBOS und OBOP ein Auftrag für entsprechende Umfragen eingegangen. Die Stimmung wird vermutlich bei der jungen Generation ganz anders sein, als bei den Polen, die die Schrecken des deutschen Nationalsozialismus unmittelbar erlebt haben. Gerade unter den Älteren gibt es sicherlich viele, die lieber einen Umweg durch die Tschechoslowakei machen, als sich Unannehmlichkeiten bei einer Fahrt durch die DDR auszusetzen. Doch von einer generellen neuen Angst vor den Deutschen kann heute kaum die Rede sein. Die meisten Jugendlichen empfinden die Nachrichten aus Deutschland eher als spannende news denn als geschichtliche Analogie. Und bezeichnend für diese Haltung war ein Interview von zwei jungen Reportern der Gazeta Wyborcza mit Franz Schönhuber — mit der gleichen Unbefangenheit, mit der sie ein paar Tage vorher die deutsche Porno-Produzentin Teresa Orlowski interviewten.

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