IM Sekretär belastet Potsdamer Koalition

Oberkirchenrat Linn: Stolpe ließ die Möglichkeit erkunden, Eppelmann nach Argentinien abzuberufen/ Übergabe der DDR-Verdienstmedaille an den Kirchenmann bleibt ungeklärt  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Stolpes Stasi-Kontakte stellen zunehmend die Brandenburger Ampelkoalition in Frage. Das Bündnis 90 hat dem Ministerpräsidenten vorgeworfen, er versuche im Zusammenhang mit den neusten Stasi-Vorwürfen Druck auf den kleineren Koalitionspartner auszuüben. Während im Stolpe-Untersuchungsausschuß am Mittwoch nachmittag auch der frühere Stellvertreter im Staatssekretariat für Kirchenfragen die genauen Umstände der Verleihung der DDR- Verdienstmedaille an Stolpe nicht aufklären konnte, drohte der Regierungschef in Cottbus: Wenn das Bündnis die Stasi-Vorwürfe weiter forciere, könnte die Zahl der Sozialdemokraten wachsen, die von vorneherein eine Ampelkoalition unter Einschluß der Bürgerbewegung abgelehnt hätten. Für das Bündnis 90 konterte gestern Fraktionschef Günter Nooke in der nichtöffentlichen Sitzung des Ausschusses, Stolpes Äußerungen seien der „Wahrheitsfindung abträglich“ — sie könnten nur „als unanständige Einmischung gewertet werden“.

Der Ministerpräsident gerät derweil auch von anderer Seite unter Druck. Stolpe hat bestritten, an Überlegugen beteiligt gewesen zu sein, den unbequemen Pfarrer Rainer Epelmann zu versetzen und ihn auf eine Kirchenstelle nach Argentinien abzuschieben. In einem Schreiben an den heutigen Bonner CDU- Abgeordneten Eppelmann bestätigt aber nun der frühere Oberkirchenrat in Genf, Gerhard Linn, daß er sich im Auftrag Stolpes „beim kirchlichen Außenamt in Hannover nach dem Bewerbungsmodus für solche Stellen“ in deutschsprachigen Auslandsgemeinden erkundigt hat. Stolpe habe ihm auf seine Rückfragen erklärt, „daß es unter Umständen nötig werden könne, 'Bruder Eppelmann aus der Schußlinie zu nehmen‘“. „Selbstverständlich“, schreibt Linn, sei er dabei davon ausgegangen, „daß Bruder Stolpe in Ihrem Interesse diese Sondierungsgespräche an mich herangetragen hat“.

Gegenüber der taz hat Eppelmann aber betont, mit ihm sei über eine mögliche Abberufung nach Argentinien zu keiner Zeit gesprochen worden.

Der Ausschuß in Potsdam hat gestern beschlossen, Stolpe für den 23.Oktober erneut vorzuladen. Rund 20 weitere Zeugen sollen in Potsdam geladen werden, darunter Pfarrer Eppelmann, Altbundeskanzler Schmidt, Ex-Außenminister Genscher und der letzte DDR-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz. Auf Antrag der FDP wurde weiter beschlossen, beim Bonner Innenministerium eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Gauck-Behörde wegen der Vorabveröffentlichungen von Recherchen in der Presse zu erheben. Tatsächlich stehen die Veröffentlichungen aber in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Übergabe der Unterlagen an den Potsdamer Ausschuß.

Wie gestern berichtet, hat der Kirchenmann Stolpe nach Akten der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim Zentralkomitees der SED noch im November 1989 den Staatsapparat über ein Treffen der Bürgerrechtsgruppen zur Vorbereitung der Gespräche am Runden Tisch vorab informiert. Stolpe wies dies als „Lügen“ zurück. Wahrheit sei, „daß die Evangelische Kirche unmittelbar nach Honeckers Sturz im Oktober 1989 von den neuen Machthabern eindringlich die Aufnahme direkter Gespräche mit Oppositionsvertretern verlangt hat.“

In der Vernehmung des langjährigen Stellvertreters im Staatssekretariat für Kirchenfragen, Hermann Kalb, konnten am Mittwoch die genauen Umstände der Auszeichnung Stolpes mit der DDR-Verdienstmedaille nicht erhellt werden. Kalb bestätigte, daß er sich im Juni 1978 mit seinem Vorgesetzten, dem 1979 verstorbenen Staatssekretär Hans Seigewasser, darauf verständigt habe, Stolpe für die Verleihung vorzuschlagen. Der weitere Gang des Verfahren sei aber allein Sache des Staatssekretärs gewesen.

Deutlich wurde anhand der Aussage Kalbs nur, daß die Übergabe der Medaille in der von Stolpe geschilderten Form eine Reihe außerordentlicher Umstände im Staatsekretariat zur Voraussetzung gehabt haben muß. Den Widerspruch, daß die Auszeichnung Stolpes ausweislich der Stasi-Akten auf einen Befehl des Stasi-Chef Mielke zurückgeht, konnte Kalb nicht auflösen.

Für einigen Wirbel sorgte die Aussage Kalbs, er habe nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Medaillenverleihung am 23.August Stolpe zufällig bei einem Mittagessen im früheren Gästehaus des Staatssekretariats getroffen. Stolpe habe gefragt, ob die Medaillenvergabe auf einen Vorschlag des Staatssekretariats zustande gekommen wäre. Fünf Tage später habe er sich mit dem persönlichen Referenten Stolpes und dessen Rechtsanwalt Schomburg getroffen. Das Gespräch sei auf Veranlassung Schomburgs in dessen Wohnung zustande gekommen. Schomburg und Ringmann hätte ebenso interessiert, ob die Ehrung Stolpes im Staatssekretariat ausgedacht wurde. Des weiteren hätten sie in Erfahrung bringen wollen, wer die Auszeichnung übergeben hat. Er habe beiden erklärt, daß er dies nicht wisse.