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Angewandtes Analphabetentum

■ Bahnchef Heinz Dürr liebt die Literatur. Aber der Heinrich-Heine-Buchhandlung am Bahnhof Zoo wurde gekündigt

Einige Herren der Bundesbahn scheinen finster entschlossen, klarzumachen, daß im neuen Berlin Literatur und Kunst nichts zu suchen haben: Um den Bahnhof Zoo in die gesichtslose glatte Wüste moderner Trostlosigkeit zu verwandeln, die die Technokraten für schick halten, wurde sämtlichen Geschäften des Areals gekündigt. Zu ihnen gehört die Heinrich-Heine-Buchhandlung. Sie ist für Berlin, was im Paris der Zwanziger Sylvia Beachs »Shakespeare & Company« war, im San Francisco der Sixties der »City Light Book Shop« und in Hamburg vor einem Jahrzehnt Hilka Nordhausens »Buch Handlung Welt«: Eine Legende, ein »Schloß, darin sich die Schicksale kreuzen«, eine Nische der Kunst in einer häßlichen Umgebung.

In schönstem Bürokratendeutsch wirft die Reichsbahn dem Inhaber Hans Brockmann vor, daß er sein Geschäft nicht auf dem geistigen Niveau eines Zeitschriftenkiosks betreibt. Sie begründet den Rauswurf damit, daß im Bahnhof Zoo »eine typische Bahnhofsbuchhandlung« fehle. »Die Heinrich-Heine-Buchhandlung erfüllt diesen Zweck nicht. Sie wendet sich nicht in erster Linie an Reisende, sondern hat einen anderen Kundenstamm. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß sie den Zugang zur Bahnhofshalle geschlossen hält und nur von der Hardenbergstraße aus zugänglich ist.«

Wer solche Briefe schreibt, verrät nicht nur, daß er selten eine Buchhandlung von innen gesehen hat, sondern auch, daß er Reisende für eine Art Analphabeten hält, denen höchstens der Konsum von literarischem Junkfood zuzutrauen ist. Eine besondere Note bekommen diese Manöver, aus denen die pure Verachtung von Literatur spricht, durch die gelegentlichen Auftritte, auf denen sich Reichs- und Bundesbahnchef Heinz Dürr als Kunstliebhaber darstellt. Erst vor kurzem hat die Reichsbahn dem Suhrkamp Verlag einen Sonderzug nach Güstrow spendiert, um den Romanautor Uwe Johnson zu ehren, Dürr persönlich hat die Festivität durch eine kunstsinnige Rede über die Verbindungen zwischen Uwe Johnsons Werk und dem Bahnwesen bereichert.

Nun hofft Hans Brockmann auf eine Intervention Dürrs, die der Bahn eine kulturpolitische Blamage ersparen würde und für Brockmanns Laden die Rettung bedeuten könnte. Zwischen den bis zur Decke gestapelten Büchern findet man dort Schätze, von denen man gar nicht wußte, daß man sie gesucht hat. Längst vergriffene Raritäten zeugen davon, daß Brockmann sich einzig an seinen literarischen Leidenschaften orientiert und die Zwänge der Verkäuflichkeit und der kulturellen Mode souverän ignoriert: Wenn er einen abgelegenen Autor schätzt, stellt er einen Vorrat seiner Bücher in die Regale, irgendwann werden sie schon ihre Käufer finden. Wenige Buchhandlungen spüren mit solcher Leidenschaft noch den entlegensten Fährten in den Labyrinthen des Geistes nach: Man hat kein »Sortiment« vor sich, sondern ein Programm. Allein das macht diese Buchhandlung zwischen den Buchkaufhäusern zu einer Oase, eine vom Aussterben bedrohte Gattung. Die Heinrich-Heine-Buchhandlung ist nicht nur ein entscheidender Umschlagplatz von Gedanken und gut geschriebenen Sätzen, sie ist ein Knotenpunkt im literarischen Netz der Stadt, genutzt von den Dramaturgen der Schaubühne, geliebt von den Literaten der Stadt. Kaum verdeckt hat der Erzähler Helmut Lange dem Buchhändler vor Jahren in seiner Erzählung »Die Wattwanderung« ein kleines Denkmal gesetzt, eine dezente Liebeserklärung an den Laden unter den S- Bahn-Brücken. So überrascht es nicht, daß zahlreiche Künstler, vom Schauspieler Kurt Böwe bis zum Regisseur B.K. Tragelehn empört auf die Kündigung reagierten. Heiner Müller will eine Lokomotive küssen, wenn die Bundesbahn die Kündigung zurücknimmt, Christa und Gerhard Wolf schwärmen von Hans Brockmann, dem Buchhändler, »der über alles Bescheid wußte«, Thomas Brasch erklärt knapp, dieser »Ort mit Heines Namen« sei »eine Wunde, die offen bleiben muß«.

Um was geht es bei der Kündigung, die zum 31. März 1993 wirksam würde? Die Bundesbahn will den Bahnhof neu durchstylen. Schätzungsweise wird er nach dieser Operation etwa so aufregend aussehen wie eine überdachte Fußgängerzone. Natürlich spekulieren die Technokraten auf höhere Mieteinnahmen, aber vor allem träumen sie den Traum der schönen neuen Warenwelt; das schmuddelige Berlin soll eine schnieke Yuppie-Boutique werden. Das ist, nebenbei, das Überkleistern und Ausradieren von Geschichte, der Imperialismus der Gegenwart gegen die übrige Zeit. Die Heinrich-Heine-Buchhandlung ist Teil dieser Geschichte. Schon ihre Gründung klingt wie ein Märchen aus vergangener Zeit: 1945 wurde sie von den Russen zwischen Berlins Ruinen gegründet, ihr Name zeugt von der russischen Heine-Verehrung. Paul Schulz, der erste Inhaber des Geschäfts, war militanter Spartakist, emigrierte 1933 in die Sowjetunion, überlebte die Belagerung Leningrads und kam 1945 mit der Roten Armee nach Berlin zurück. Buchhändlerische Erfahrung hatte er in den zwanziger Jahren als Packer in Wieland Herzfeldes Malik-Verlag gesammelt. 1968 übernahm Brockmann den Laden von Schulz und machte ihn, in den Nachwehen der Studentenrevolte, zu einer der »kulturellen Hauptschlagadern Berlins« (Heiner Müller). Brockmann kam aus Paris und hatte von Max Picard gelernt, was buchhändlerische Leidenschaft bedeutet. Heute empfindet er den Rausschmiß als Bestrafung für seine 25jährige Arbeit, die so wahrscheinlich nur am Bahnhof Zoo möglich war: »Das kulturell und subkulturell vielschichtige und einmalig durchmischte Milieu dieses Ortes « habe »als permanent wirksames Ferment« den Laden mitgeprägt, zu seiner Atmospähre gehöre der hohe literarische Anspruch »bei auffälligem Mangel an elitärer Form«. Genau das paßt nicht ins Yuppie-Berlin: Der literarische Anspruch ist anachronistisch, das Desinteresse an der edlen Selbstinszenierung muß die postmodernen Strategen provozieren. Peter Laudenbach

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