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„Zigeuner haben keine Lobby“

■ Ein Gespräch mit Alfred Erölli, dem Vorsitzenden des Berliner Roma-Verbandes/ Seminar „Sprache ohne Schrift“ berät über die Schaffung eines Romanes-Alphabets

Berlin. Die „Zigeuner“ sind die einzige gesamteuropäische Ethnie, werden jedoch nur in Schweden als Minderheit anerkannt. Über alle Grenzen hinweg verbindet sie die gemeinsame Sprache Romanes. Sie kommt aus dem Sanskrit und ist bis heute schriftlos geblieben. Es gibt kein Romanes-Alphabet und damit auch keine literarische Kommunikation, keine kulturelle und sprachliche Integration der „Zigeuner“. Im Literarischen Colloquium tagt bis Freitag ein Seminar „Sprache ohne Schrift“. Neun Autoren aus sieben Ländern diskutieren mit Linguisten über die Schaffung eines gemeinsamen Alphabetes. Über die Situation der Roma sprach die taz mit Alfred Erölli, dem Vorsitzenden des Berliner Roma-Verbandes.

taz: Der Vorsitzende der deutschen Roma und Cinti Union, Romani Rose, empfindet die Bezeichnung „Zigeuner“ als eine Diskriminierung. Die Nazis haben in den Konzentrationslagern das „Z“ in die Arme der Häftlinge tätowiert. Warum sagen sie, Sohn von Auschwitz-Überlebenden: „Ich bin ein Zigeuner.“?

Erölli: Man kann doch durch einen neuen Namen einen Zustand nicht verdecken. Wir sind Zigeuner, hießen Hunderte von Jahren so, wurden Hunderte von Jahren als Zigeuner diskriminiert und werden es genauso, wenn wir uns Roma oder Sinti nennen. Wir müssen offensiv werden, selbstbewußt, die Bezeichnung „Zigeuner“ als etwas Besonderes annehmen. Wir müssen uns zeigen und als kulturelle Minderheit gehört werden. Die Schaffung einer übernationalen Schriftsprache ist daher etwas ungeheuer Politisches.

Romani Rose fordert von der Bundesregierung auch ohne Schriftsprache die Anerkennung als ethnische Minderheit.

Das kann er für die Sinti ja tun. Die Sinti leben seit Jahrhunderten in Deutschland, haben zu 90 Prozent die deutsche Staatsbürgerschaft, sind anerkannt und haben ihre Berufe, Romanes sprechen die wenigsten. Bei den Roma ist das anders. Denn es gibt nur eine Handvoll deutscher Roma. Die Roma kommen aus Osteuropa, sind — um eine Parallele zu zeigen — in der gleichen Situation wie die Ostjuden in der Weimarer Republik. Damals waren auch viele Juden gegen ihre Brüder aus dem Osten, um ihre Anerkennung nicht zu gefährden. Genau die gleiche Situation haben wir heute auch. Der Zentralrat fordert für seine Sinti die Anerkennung als deutsche Minderheit und vergißt den Rest. Die Roma sind für den sogenannten Zentralrat doch nur „Ausländer“. Das machen wir nicht mit.

Die Bundesregierung hat ein Abkommen mit Rumänien unterzeichnet. Ab November werden rumänische Asylbewerber rückgeführt. Ist das ein Lex Zigeuner?

Klar und deutlich muß endlich gesagt werden, daß Deutschland die Zigeuner deportieren will und niemanden sonst. Diese Menschen als Rumänen zu bezeichnen ist pure Heuchelei, man verschleiert ihre ethnische Zugehörigkeit, um sich der historischen Verpflichtung, die Deutschland für die Zigeuner haben muß, zu entledigen. Man nennt sie Rumänen, weil das Wort „Zigeunerdeportation“ an die Nazi-Zeit erinnert. Innenminister Seiters ist nach Bukarest gegegangen, um Zigeuner gegen Bezahlung zu verkaufen. Das ist Menschenhandel, wohin das Geld gehen wird, weiß keiner, das Regime dort ist doch nur eine Fortsetzung des alten kommunistischen Systems. Die Nazis haben die Zigeuner in den Tod deportiert, die Bundesregierung verkauft sie in ein Land, in dem sie gejagt werden. Es gibt stapelweise Dokumentationen von amnesty international über Pogrome und tagtägliche Menschenrechtsverletzungen.

Es gibt etwa zwei Millionen Roma in Rumänien. Soll die Bundesrepublik die alle aufnehmen?

Die Hilfe für Roma kann nicht nur eine deutsche Angelegenheit sein. Weil die Nazis die Zigeuner verbrannt haben, wäre es ihre Aufgabe, zum Meinungsführer innerhalb des Europäischen Rats zu werden. Ganz Europa muß die Zigeuner schützen und ihnen helfen, wenn sie — wie jetzt — verfolgt werden. Aber nein, das tut die Bundesregierung nicht, sie nennt die Zigeuner Rumänen, Scheinasylanten, damit die Abschiebung vor der Haustür problemlos über die Bühne geht. Diese Leute sind Flüchtlinge, weil sie als Zigeuner stigmatisiert werden. Und möglich ist dieser unglaubliche Verkauf nur, weil wir keine Lobby haben, weil kein Druck von unten ist.

Am Waterloo-Ufer drängeln sich jede Nacht Kriegsflüchtlinge. Darunter sind auch viele Roma. Sie haben versprochen, Tee und Decken auszugeben, sollen dies aber nicht getan haben.

So ein Quatsch. Während in der Stadt mit Pomp und Sekt das sogenannte Roma-und-Sinti-Kulturfestival eröffnet wurde, standen wir mit einem Rot-Kreuz-Wagen am Waterloo-Ufer und haben Tee ausgeschenkt. Wir helfen 20 Stunden am Tag — und die anderen machen eine Alibi-Kulturveranstaltung. Singende Zigeuner mag man eben, Zigeuner-Flüchtlinge sind das Letzte. Diese Doppelmoral ärgert mich wahnsinnig.

Aber Kulturveranstaltungen sind wichtig, um Vorurteile abzubauen.

Klar, aber, bittschön, in ruhigen Zeiten, und ohne das eine zu tun und das andere zu lassen. Das Festival wurde mit einer Million Mark subventioniert, aber wenn zu den Veranstaltern einer kommt und sagt: Zigeuner klauen, dann sagen die, ja, soll sich doch die Polizei um sie kümmern.

Viele Zigeuner betteln und klauen aber. Stimmt das nicht?

Mein Gott, was sollen sie denn tun. Lesen können sie nicht, schreiben können sie nicht, aus den Ämtern werden sie getrieben. In dieser Situation ist doch das Betteln das erfolgreichste Gewerbe. Sie kriegen so wenig und können davon so lange leben. Es ist doch die Armut, die sie treibt. Und das mit der überproportionalen Kriminalität sehe ich überhaupt nicht. Ich weiß nur eines. Wenn Roma kriminalisiert werden, dann bezieht sich die Kriminalität auf kleine Diebstähle. Ein Roma wird niemals einen Mord verüben, keine Frau vergewaltigen, hat mit Hütchenspielen nichts zu tun und erst recht nichts mit Drogenhandel. All diese Dinge sind von der Kultur und Tradition völlig verpönt. Der eigentliche Grund, warum mein Volk »asozial« genannt wird, ist, daß wir in einer Spießbürgergesellschaft nicht assimilierbar sind. Roma hätten aber nicht die geringsten Probleme, sich mit ehrlicher Arbeit zu ernähren. Man muß es ihnen nur erlauben. De Aves Bachtolo! Zu deutsch: Alle Roma sollen Glück und Gesundheit haben!

Das Interview führte Anita Kugler

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