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„Beiräte begünstigen Politikverdrossenheit“

■ Bau-Staatsrat Jürgen Lüthge schlägt vor: Stadtteil-Beiräte abschaffen, vier Bezirke bilden

Das alte Ortsamt soll Bezirksamt werden F.: T.V.

Seit Jürgen Lüthge als Staatsrat aus dem Umwelt- ins Bauressort gewechselt ist, spürt er heftigen Gegenwind, und der kommt vor allem aus den Bremer Beiräten: Die Woltmershauser blockieren Vorschläge zur Stromer Straße, die Oberneuländer wollen keine Tempo-30-Zonen, die Neustädter sind gegen den Ausbau der Neuenlander Straße, der Beirat in Schwachhausen blockiert die Beruhigung des Bürgerparkviertels, und das ist nur eine kleine Auswahl.

„Was sich auf dem Beiratssektor tut, ist haarsträubend“, faßt Lüthge seine Erfahrungen zusammen. Jetzt hat er sich vorgenommen, ein ganz dickes Brett zu bohren. Das Ziel: Mittelfristig die Beiräte auflösen und statt dessen vier Bezirksämter bilden, mit eigenen Verwaltungen und direkt gewählten Bezirksparlamentariern.

„Das Beirätegesetz hat zu einer Atomisierung der politischen Interessen geführt“, meint Lüthge, der die Verantwortung dafür Senat und Bürgerschaft zuschiebt, die 1989 das Beiräte

Haus

gesetz novelliert hatten. „Der Spagat zwischen dem Versuch einer deutlichen Stärkung von Beiratsrechten einerseits und einer gleichzeitigen Beibehaltung ihres überkommenen Status als dezentrale Verwaltungsausschüsse andererseits ist nicht geglückt. Herausgekommen ist ein diffuses Konglomerat aus Entscheidungs- und Beteiligungsrechten der Beiräte, das seit Inkrafttreten der Novelle zu Irritationen bei Beiräten und Verwaltungen geführt hat“, schreibt Lüthge in einem Diskussionsbeitrag für die Kommission Bremen 2000.

Der Hauptfehler sei, den Beiräten Entscheidungsrechte zuzubilligen, ihnen aber gleichzeitig das Personal und das Geld zu verweigern, um diese Entscheidungsrechte auch auszufüllen. „Die unzureichende Grundstruktur ermöglicht den Beiräten keine wirkliche Partizipation. Das Gefühl einer ortspolitischen Ohnmacht ist daher bei den Beiräten sehr stark ausgeprägt und schlägt entweder um in Resignation oder in eine grund

sätzliche Neinsagerhaltung.“

Dies führe auch zu Frustrationen von Bürgern, die zwar ihren Beirat wählen dürften, jedoch dann feststellen müßten, daß die Realisierung von Beschlüssen durch eine aus der Sicht der Bürger anonyme zentrale Verwaltung erfolgt.

Kein Verlust an direkter Demokratie befürchtet

Für seinen Vorstoß hat Lüthge einen Zeitpunkt gewählt, an dem ohnehin über Korrekturen am Beirätegesetz nachgedacht wird. Diese sind erforderlich, seit der Staatsgerichtshof im Juli 1991 festgestellt hatte, daß die demokratisch legitimierten Beiräte Staatsgewalt ausüben und über eigenständige Entscheidungskompetenzen verfügen, die nicht durch Anordnungen des Senats eingeschränkt werden dürfen.

Seitdem arbeitet der Innensenator an Vorschlägen, wie die Balance zwischen Beiräten und Senat neu hergestellt werden kann. Bislang ohne Ergebnis. Ein erster Entwurf, mit Richtlinien an einer Novellierung des Gesetzes vorbeizukommen, wurde vom Senat zurückgewiesen. Inzwischen wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der jetzt auch die von Beiratsentscheidungen meistbetroffenen Ressorts Bau, Wirtschaft und Soziales vertreten sind.

Inzwischen wurde erreicht, daß Lüthges Lieblingsidee vom Innenressort als eine denkbare Variante aufgenommen wird: Bezirke statt Beiräte, heißt die in Hamburg und Berlin längst praktizierte Form. Danach würden insgsamt vier Bezirke für je etwa 130.000 Einwohner gebildet. Dem Senat wäre es dann vorbehalten, alle Angelegenheiten von übergeordneter Bedeutung zu behandeln, die Bezirke hätten fest umrissene kommunale Aufgaben. Dafür stünde eine eigene Verwaltung zur Verfügung, die von der direkt gewählten Bezirksversammlung kontrolliert würde.

An einen Verlust von direkter Demokratie glaubt Lüthge nicht. „Das jetzige Modell beschleunigt die Politikverdrossenheit“, meint er. „Dagegen hätten Bezirksämter für die Bewohner den Vorteil, daß in seinem Bezirk alle örtlichen Aufgaben zusammengefaßt sind.“ Lüthge glaubt, bei vielen die gleichen Vorbehalte gegen das Beiratswesen herauszuhören. Deshalb hofft er, daß der Senat in der Lage ist, die Grundzüge einer grundlegenden Verwaltungsreform noch in dieser Legislaturperiode zu beschließen. „Mit der jetzigen Struktur kommen wir jedenfalls nicht bis ins Jahr 2.000.“ Weil es aber in jedem Fall daueren wird, schlägt Lüthge als ersten Schritt die Teilentmachtung der Beiräte vor: Bei Verkehrsangelegenheiten sollten die Beiräte künftig nicht mehr an der Entscheidung mitwirken dürfen, sondern nur noch beteiligt werden. hbk

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