: Hamburg ist nicht Rostock
Verfassungsschutz-Chef und Kritische Polizisten diskutierten über ■ rechtsextremen Terror
31 Straftaten, darunter sechs Brand- und Sprengstoffanschläge, sowie 14 Personenangriffe und Körperverletzungen in den vergangenen neun Monaten lautet die Hamburger Bilanz über rechtsextrem motivierte Gewalttaten. Diese Angaben machte Hamburgs oberster Verfassungsschützer Ernst Uhrlau am Donnerstag während einer Diskussionsveranstaltung. Trotzdem, so Uhrlaus Bewertung, halte sich die Hansestadt im bundesweiten Vergleich „noch ganz gut“.
In der gesamten Republik verzeichnen die Staatsschützer im gleichen Zeitraum mehr als 1550 rechtsextreme Gewalttaten, davon rund 500 Brand- und Sprengstoffanschläge. Knapp 900 Verletzte und 11 Tote gehen auf das Konto der gewalttätigen Rassisten. Der Hamburger Verfassungsschutzchef meint hingegen, die rechte Szene der Hansestadt im Griff zu haben. „Was aus organisierten Zusammenhängen heraus geplant wird, haben wir relativ gut unter Kontrolle“, erklärte Uhrlau am Donnerstag auf der GAL-Podiumsdiskussion zum Thema „Rechts hat Vorfahrt“ im Altonaer Haus 3.
Wie diese Kontrolle funktioniert, darüber hielt sich der Lochte-Nachfolger allerdings recht bedeckt: „Wir haben uns bisher immer den veränderten Aktivitäten des rechten Spektrums angpaßt.“ Auch von zunehmender rechtsradikaler Organisation als Hintergrund für die Rostocker Randale will Uhrlau nichts wissen: „Bei den Tätern handelt es sich vorwiegend um nicht zentral gesteuerte einzelne oder Kleinstgruppierungen.“ Eine „klassische Vernetzung wie im linken Bereich“ bestehe auf der rechten Seite nicht.
Rostocker Verhältnisse wird es in Hamburg in naher Zukunft auch nach Meinung von Manfred Mahr, Sprecher des Bundesverbandes Kritischer Polizisten, nicht geben. Nach Meinung des Beamten aber dennoch kein Grund zur Entwarnung: „Wenn sich aber politisch nichts ändert und der Verteilungskampf weiter zunimmt, möchte ich auch für Hamburg meine Hand nicht ins Feuer legen.“
Daß auch innerhalb der Hamburger Polizei rassistische Töne zunehmen, davon wußte einer der rund 100 Veranstaltungsteilnehmer zu berichten, der selbst als Polizist sein Brot verdient: „Es kommt vor, daß es bei einer Schlägerei in einem türkischen Lokal auf der Wache heißt, was sollen wir denn da, sind doch keine deutschen Interessen betroffen. Oder daß einem Auslän-
1der, der über 110 anruft, hämisch empfohlen wird, doch erst einmal vernünftig deutsch zu lernen.“
Doch gerade hier ist auch der Verfassungsschutz machtlos. Ernst Uhrlau räumte auf dem Podium ein, automatisch mit seinem „Latein am Ende“ zu sein, „sobald der Rechtsextremismus die Randbereiche der Gesellschaft verläßt und sich in der Mitte der Gesellschaft“ etabliert. „Letzten Endes aber“, so Manfred Mahr, könnten weder Polizei noch Staatsschutz, sondern nur ein „gelebter Verfassungsschutz“ den Kampf gegen die neue Rechte gewinnen: „Eben nicht wegsehen, sondern handeln — und damit sind wir alle gemeint“. Sonia Shinde
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