: Rhapsode zum Taktschlag
Huhn und Ei auf dem Pfad der Autorschaft: der „Last Poet“ und erste Rapper Jalal ■ Von Harald Fricke
Dieser Mann verdient Respekt. Obwohl jeder halbwegs theoriebegeisterte Musikjournalist HipHop und Rap zugeneigt ist, weil er darin die Auflösung von Autorschaft und Ursprungsdenken vermutet, setzt sich Jalal Nuriddin gegen die Vorstellung vom ohn-mächtigen Subjekt der Rede zur Wehr und beharrt auf der sinnstiftenden Stimme des Erzählers. Sie vereinigt, was die Schrift trennt: Körper und Geist, Leib und Seele, Yin und Yang, all das. Man muß nur zuhören können. Um seinem Anliegen gegenüber der weißen Philosophie Gehör zu verschaffen, ist Jalal natürlich auf Medien angewiesen. Egal, ob auf Schallplatte oder am Schauplatz Konzertbühne – die Message ist (im) Medium. „Als wir mit gesprochenen Texten anfingen, wollten wir die Worte visuell werden lassen. Das Bild, dessen Klang sich in deinem Bewußtsein findet, wird in Laute umgewandelt, damit du den Klang auch in der Seele spürst.“
Die platonischen Dialoge lesen sich nicht anders. Aber der Jazzpoet, der einmal zwischen Beat- Generation und Black-Power-Bewegung anfing, meint die Sprache recht unmetaphysisch einen Moment politischen Handelns. Und tatsächlich: Bereits die erste LP seiner Band, der Last-Poets, fiel 1968 der Zensur zum Opfer. Noch heute, wo Rap zu einem profitablen Industriezweig aufgestiegen ist, muß der „Godfather of Rap“ seine Platten auf unbekannten Independent-Labels veröffentlichen.
Unsere unwissende, leichtsinnige Jugend kümmert das wenig. Kaum ein Rap-Act, von Public Enemy bis Ice-T, der ihn für seine urheberschaftlichen Verdienste würdigt. Rappen kann jeder. Jalal sagt es selbst und zitiert sich dennoch im gleichen Atemzug als Original herbei. Die Szene: ein kleiner Jugendclub im Ostteil von Berlin. Am darauffolgenden Tag werden die Sugarhill Gang und Grandmaster Flash von 2.000 Zuschauern als „wahre“ Originale des Rap gefeiert. „Als wir mit Rap und Jazzpoems begonnen haben, war es eine Alternative zum Musikbetrieb. Unser erstes Album konnten wir nur über Mund-zu-Mund-Propaganda verkaufen, weil wir kein Airplay im Radio bekamen. Sie war zu kontrovers, denn wir benutzten Straßenslang und Four-lettered words. Doch damit boten sich größere Improvisationsmöglichkeiten für uns, mit denen sich der Sprachfluß und die Geschwindigkeit besser formen ließen. Die offizielle Sprache dagegen baut auf doublespeak auf: Terminologie des Geldes, der Technik und der Wissenschaft. Wir wollten Sprache als Land-gage, als Maß unseres erdverbundenen Lebens verwenden. So ergab sich eine direkte Kommunikation zwischen dem Gospel der Sklaven von einst und dem Leben der Jugend in den heutigen Ghettos. Der Slang hat das Anglizistische aus der englischen Sprache gedrängt.“
Anders als beim „Hey Ho Holiday Inn“-Entertainment bewegt sich Jalal in einem traditionellen Kulturverständnis von oral history, der mündlich überlieferten Geschichte, deren Spuren auch in Europa zu finden sind. Schon vor Homer erzählten Rhapsoden zum Taktschlag eines hölzernen Stocks von den Odysseen rund um das Mittelmeer. Dort aber beginnt Afrika, dort treffen sich Huhn und Ei auf dem Pfad der Autorschaft.
Bar jeglicher historistischer Bedenken rappt Jalal zum Trommelschlag seines Bongaspielers Pandemonium P. Ausufernde Texte, sparsame Rhythmen. Mal fließen die Wörter den Erzählstrom entlang, als würde Joyce rezitiert, mal reiht Jalal nur Namen von Jazzmusikern auf: etwa acht Dutzend, in Gedichtform. Schneller hat noch keiner die Geschichte des Jazz erzählt. Man glaubt sogar, den Wortschwall zu verstehen – es mag an der Unmittelbarkeit des Vortrags liegen, zumindest an einem blitzartigen Gefühl ähnlicher Empfindungen, die er hervorruft. Benjamin hätte sich über das mimetische Vermögen der HipHop-Kids im Jugendclub wahrscheinlich gefreut. Die farbige Jugend in den Städten der USA scheint die exorbitante Verständigung nicht mehr zu interessieren: „Rap ist in elektronische Formen übergegangen. Mit der Rhythmusmaschine ist die afrikanische Kultur dabei nahezu verlorengegangen. Die Sugarhill Gang hat dieses Mißverhältnis noch weiter vorangetrieben und die authentische Form ausgebeutet. Seit ,Rappers Delight‘ ist Rap ein beliebiger Text, der über eine bereits fertige, aber fremde Musik gelegt wird. Damit verschwindet der politische Gehalt, statt Erfahrung handelt HipHop von Selbstbezüglichkeiten. Die junge Generation bleibt darin unter sich. Mich aber interessiert die Welt als Ganzes. Niemand lernt mehr von den Vätern, aber: If you don't know the roots from the trunk of the tree, then you don't know the branch and what the fruit will be. Die Wurzeln liegen in Afrika, wir sind als deren Stamm ins 20.Jahrhundert hineingewachsen, aus Kolonialismus und Sklaverei. Die heutige Verherrlichung von Gewalt und Macht bezieht ihre Kraft nach wie vor aus einem Minderwertigkeitsgefühl der Schwarzen. Es ist das Symptom tiefergelegener Gründe; der Wunsch, angesehen zu sein und angesehen zu werden. Dieses ,Seht mich!‘ gilt den Eltern und Vorfahren. Aber die Sprache richtet sich nur noch ans eigene Lager. Und nach dem Gesetz der Marktwirtschaft, das Preissteigerung und Wertverlust diktiert.“
Jalal ist wütend und verbittert. Noch immer sind seine Raps kaum im Laden erhältlich, aber auf fremden Remixen zu hören. Stock/Aitken/Waterman haben sich für ihren flotten Dancefloorfeger „Roadblock“ eines Samples aus „Hustler's Convention“ von den Last Poets bedient. Eine Urheberklage gegen die Popmultis konnte sich der Exil-Engländer nicht leisten. Er muß sich damit abfinden, vom Sprachrohr der schwarzen Befreiungsbewegung der späten sechziger Jahre zur Intarsie der Popkultur abgewertet zu werden. Dennoch empfindet er den europäischen Umgang mit afrikanischer Kultur weniger zerstörerisch als den amerikanischen: „In Amerika ist man zu Hause Italiener, für die Nachbarn Italiener, aber im Büro Amerikaner. Man verneint seine Herkunft in der Öffentlichkeit. In Europa ist man zumindest bemüht, die jeweilige kulturelle Identität zu wahren. Hier können Farbige Afrika unter der Knute des Kolonialismus wiederentdecken, was weniger schlimm ist, als in Amerika unter den Folgen der Sklaverei zu leiden. Dieses Stigma macht jede Suche unmöglich. Statt kulturelle Vielfalt zu bieten, besteht dieses Amerika zudem nur aus Fassaden von Phantasie. Das ist ihre Definition von Kultur: Pop. Aber was ist Pop? Pop heißt ,explodieren‘. Was soll das für eine Kultur sein?“
Jalal hat es aufgegeben, damit sein Geld zu verdienen. Hauptberuflich arbeitet er als Akupunkturarzt, in seiner Freizeit unterrichtet er Kinder in Kung Fu. Zur besseren Lebensführung. Auf die Bühne steigt er nur, weil er sich dazu berufen fühlt. Die Rückkehr zum Fundamentalismus liegt auch für den aufgeklärten Jalal nahe: „Fundamentalismus? Der Begriff ließe sich ganz einfach übertragen: fundamental – mental fun. Wörtlich genommen, sollte er allerdings auf Integration und nicht Beherrschung hinauslaufen. Die Menschen wollen zu ihrer Grundlage zurück, das hat wenig mit barbarischen Zuständen zu tun. Dieses Feindbild wird lediglich zur Verteidigung der westlichen Werte errichtet. Denn der Fundamentalismus entblößt die Kultur der westlichen Welt. Meine Botschaft ist einfach: Nimm das Beste und vernachlässige die Reste! Verhindere Schlimmeres! Behandle die Gründe und eliminiere dadurch die Symptome! Es nützt nichts, die Fassade eines Hauses neu zu streichen, wenn die Wände morsch sind. Dann muß man wieder an den Fundamenten beginnen. Wir müssen die Dinge wieder zusammenfügen und nicht noch weiter in die Scheiße reiten. Auch was die Texte betrifft: Solange nicht alle politischen Fragen geklärt sind, braucht man nicht über Liebe zu rappen, genauso wenig wie über Gewalt. Oder meinst du, Ice Cube würde wirklich das tun, was er sagt? Das ist Unterhaltung um des Geldes willen. Für eine echte Message muß man nicht bezahlen.
Jalal gibt noch ein Konzert in Deutschland, und zwar morgen in der Hamburger Zinnschmelze.
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