„Friede den Containerlagern“

■ Weit mehr als 100.000 Teilnehmer demonstrierten in Bonn für das Asylrecht/ Autonome, Schalke-Fans und Rostocker Jugendliche friedlich vereint

Bonn (taz) – Trotz durchdringender Kälte riß die Schlange vor dem Eiscafé „Dansk Is Björn“ nie richtig ab. Es war der einzige Björn, der auf der Demonstration gegen Ausländerhaß und Asylrechtsänderung am Samstag in Bonn auf Sympathie stieß.

Nach Polizeiangaben über 100.000, nach den Worten der Veranstalter 250.000 Menschen waren in drei Demonstrationszügen zum Bonner Hofgarten gezogen, um die Sozialdemokraten vor ihrem heute beginnenden Parteitag noch einmal vor einer Änderung des Artikels16 des Grundgesetzes zu warnen. Bilanz des Juso-Bundesvorsitzenden Ralf Ludwig: Eine „wichtige Rückendeckung“ für den heute beginnenden Parteitag.

Auf Transparenten wurde Björn Engholm als Brandstifter neben Helmut Kohl gestellt. Aber es blieb bei den verbalen Attacken. Der Eingang der SPD-Zentrale, an der einer der drei Demonstrationszüge vorüberführte, wurde von nur zwei Bundesgrenzschutzbeamten bewacht und blieb trotzdem – oder auch deshalb – von Angriffen verschont. Auch der „internationalistisch antifaschistische Block“ der Autonomen ließ sich auf seiner – getrennten – Kundgebung auf dem Münsterplatz nicht von den zahllosen unbewachten Kaufhausschaufenstern ringsum provozieren. Aus den Lautsprechern des „Antifa“- Wagens hörten die etwa 4.000 Schwarzjacken eins ums andere Mal die Aufforderung, Ruhe zu bewahren: „Hier hat keiner ein Interesse, daß irgendetwas abgeht.“ Sänger Campino von den Toten Hosen lockte am Ende auch die Autonomen vor die Bühne im Hofgarten. Seine Parole: „Im Kampf gegen Rassismus und Fremdenhaß brauchen wir keine Grabenkämpfe.“

So ausgelassen wie am letzten Montag auf dem Kölner Chlodwigsplatz sei die Stimmung im Bonner Hofgarten dennoch nicht gewesen, meinten einige Teilnehmer enttäuscht. Dafür war das Spektrum der Demonstranten in Bonn eher noch größer. Unter ihnen war ein Dutzend Schalke- Fans, die den im heimischen Parkstadion immer lauter werdenden „dumpfen Fremdenhaß“ nicht mehr ertragen konnten.

„Wir sind der Verfassungsschutz. Hände weg von Artikel16“, verkündete ein Transparent, ein anderes: „Die schönsten Menschen sind lila“. Die Schwabinger Friedensinitiative forderte „Krieg den Palästen, Friede den Containerlagern“. Und unzählige Teenager liefen mit, die an der Absperrung vor der Bühne verzückt die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, als ihnen Herbert Grönemeyer erklärte, er sei vor allem hier, um sich selbst Mut zu machen.

Auch aus Ostdeutschland waren größere Gruppen angereist, so von den Jusos, den Gewerkschaften und dem Neuen Forum. Die Jugendinitiative Rostock hatte mit Marten Jennerjahn einen Redner geschickt, der die Westdeutschen daran erinnerte, daß der tägliche Rassismus die ganze Bundesrepublik betreffe, nicht nur seine Heimatstadt, die „im schlechtesten Sinne in aller Munde ist“.

In der Frage des Asylrechts stehe die Bundesrepublik vor einer historischen Entscheidung, nur vergleichbar mit dem Streit um die Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren und der Debatte über die Notstandsgesetze in den sechziger Jahren, sagte der niedersächsische Bundesratsminister Jürgen Trittin (Grüne) in seiner Rede auf einer Auftaktkundgebung.

Nach jeder dieser Niederlagen habe sich die Oppositionsbewegung mühsam ihren Spielraum zurückerkämpfen müssen. Es liege nun an der SPD, ob der „Marsch in ein großes und häßliches Deutschland unumkehrbar ist“.

Micha Brumlik von der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt/ Main erinnerte daran, daß die Verfasser des Grundgesetzes mit dem Asylrecht die Lehre aus der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Juden gezogen hatten. Verteidige man dieses Recht, dann geschehe das „weder leichtfertig noch aus schierer Prinzipienreiterei“.

Der Artikel16 in seiner heutigen Form habe schon Tausenden von Menschen das Leben gerettet, darauf wies Volkmar Deile von amnesty international hin. Grönemeyer, die Toten Hosen, Bläck Fööss, The Busters, Purple Schulz traten vor den Demonstranten auf und verbreiteten noch am Abend eine gemeinsame Erklärung. „Wer das Recht auf Asyl verteidigt, der verteidigt auch seine eigene Meinungsfreiheit und sein Recht, so zu leben, wie er will“, schrieben die Künstler. Hasso Suliak/Hans-Martin Tillack