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Opfer und Verantwortung-betr.: "In politische Fallen getappt", taz vom 14.11.92

Betr.: „In politische Fallen getappt“, 14.11.92

Die Kritik der aktuell auf Kampnagel stattfindenden Ausstellung „Die Stadt, der Müll und der Tod“ ist ein trauriges Beispiel überheblichen Erfüllungsjournalismus. Frei nach dem Motto, die LeserInnen geflissentlich in ihren Vorurteilen zu bestätigen, wird hier genau das vorexerziert, was die Linken jahrzehntelang als Bildzeitungspraktiken gebrandmarkt haben. Das aus dem Kontext einer Diskussion über den Opferbegriff herausgenommene Zitat über die Opferrollen des jüdischen Volkes wird vom Autor als üble Entgleisung dargestellt und obendrein als Spott und Hohn gegen AsylbewerberInnen interpretiert. Damit verfehlt die Kritik leider die intellektuelle Ebene, die hinter der Auseinandersetzung mit dem Opferbegriff steckt. Den am Projekt beteiligten Künstlern und der Organisatorin geht es in der Ausstellung um eine Bewußtmachung der verschleiernden Funktion der Opfertitulierung. Das Opfer ist ein Begriff, der einem rational nicht begründbaren Geschehen (meist im nachhinein) einen Sinn geben soll. Auschwitz hatte keinen „Sinn“. Der deutsche Wahnsinn aber hatte einen Plan und Menschen, die diesen geflissentlich und in offener oder stillschweigender Übereinkunft ausführten. Die ostentativ vorgetragene und zum platten Ritual verkommene Solidarisierung mit den Opfern dient als Freibrief von der tatsächlichen, hautnahen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der persönlichen Verantwortlichkeit.

Marion Müller,

Organisatorin der Ausstellung

„Die Stadt, der Müll und der Tod“

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