: Lukrativer als das Ölgeschaft
■ Fernsehen ohne Grenzen? Wie der europäische TV-Markt der Zukunft aussehen wird
Der Gemeinsame Markt in Europa wird das Fernsehen in Deutschland nachhaltig verändern. Dem Zuschauer wird es allerdings schwerfallen, diese Veränderungen als Folgen der EG-Beschlüsse zu erkennen, da das „Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen“ keinen inhaltlichen Programmauftrag benennt, sondern lediglich die rechtlichen Grundlagen für die Vermarktung der Fernsehprogramme schafft.
Kriterien wie Vielfalt oder Qualität sind darin nur als „Soll“-Bestimmungen verankert. Aber auch das festgeschriebene Verbot der Schleichwerbung, die Beschränkung der Werbung auf 15 Prozent der täglichen Sendezeit und eine Richtlinie, wonach „die Rundfunkveranstalter den Hauptteil ihrer Sendezeit europäischen Werken vorbehalten“, sind wenig griffig. So wundert es nicht, daß der ARD-Vorsitzende Friedrich Nowottny den EG-Rundfunkpolitikern in Straßburg vorhält, daß sie den kulturellen und gesellschaftlichen Aspekt vernachlässigten und den Rundfunk in erster Linie als Wirtschaftsgut einstuften.
Das europäische Fernsehgeschäft ist eine lukrative Branche. Bereits in den letzten Jahren verzeichnete die Fernsehwirtschaft in Europa zweistellige Zuwachsraten und lockte mit Banken wie die Société Générale in Paris oder die Banque Bruxelles Lambert sogar Investoren an, die nicht aus der Medienbranche kamen. In den USA, zumindest bei NBC, gilt der europäische TV-Markt als weitaus interessanter als der amerikanische, weil er in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren beträchtliche Zugewinne in Aussicht stellt, die „noch besser als im Ölgeschäft“ sein können. Besonders, wenn in Europa nach dem Vorbild der USA produziert wird, wo die Abonnements und Werbeeinnahmen pro Haushalt bei 625 DM jährlich liegen – im Gegensatz zu rund 250 DM, die ein europäischer Haushalt im Jahr durchschnittlich für Fernsehen ausgibt.
Der europäische Medienmarkt wird der abnehmergrößte der gesamten westlich orientierten Welt sein. Der Bedarf an Fernsehprogrammen wird nach Berechnungen eines Londoner Institutes bis 1999 um 150.000 Sendestunden auf über 600.000 Stunden steigen, wobei der Anteil der teuren Eigenproduktionen in Europa zugleich abnimmt. Statt dessen werden Sendungen eingekauft, die eigens für die internationale Vermarktung produziert wurden. Bisher verlassen 90 Prozent der in Europa gedrehten Programme niemals ihre Herkunftsländer, und der Export von Sendungen macht nur rund 0,5Prozent des Jahresumsatzes eines Fernsehunternehmens aus. Der Blick auf den internationalen Markt wird zu einer deutlicheren Austauschbarkeit der Programme führen und nationale Filmsprachen in die Defensive drängen.
Diese Entwicklung zu einem eher globalen denn europäischen Fernsehen betrifft die öffentlich- rechtlichen Anstalten ebenso wie die privaten Sender und zwingt zur Kooperation beziehungsweise Konzentration. So hat etwa das ZDF nicht nur mit Channel 4, Antenne 2, RAI, ORF und RTVE die Europäische Produktionsgemeinschaft gegründet, sondern auch Kontakte mit CNN aufgenommen. Dem gegenüber stehen im Bereich der privaten Sender die von Leo Kirch (Sat.1) und Silvio Berlusconi (Canale 5, Italia 1) vereinbarte Produktionsgemeinschaft Tricom (Paris) und der von ABC bei Tele 5 versuchte Einstieg in den europäischen Markt. Die US-Vertriebsgesellschaften wie NBC, ABC oder CBS – die nach amerikanischem Recht nur senden, nicht aber selbst produzieren dürfen – erhoffen sich von einer Beteiligung an oder der Zusammenarbeit mit einer europäischen Fernsehanstalt sowohl den Zugang zum Produktionsbereich als auch die Umgehung der Richtlinie, die nichteuropäische Sendungen auf Europas Bildschirmen einschränken soll.
Dieser Trend zum global austauschbaren Programm wird dadurch noch verstärkt, daß das europäische Publikum zu verschieden ist, um allein Wirtschaftlichkeit zu garantieren. So gibt es keinen „europäischen Fernsehgeschmack“, wohl aber eine – wenn auch begrenzte – gemeinsame Faszination für amerikanische Filme. Koproduktionen aus Europa haben schlechte Karten, wenn sie die vielfältigen nationalen Vorlieben ansprechen wollen. Wie das Beispiel der „Eurocops“ zeigt, gelten deutsche Filme andernorts als langweilig. Italienische Filme werden in Deutschland als zu trivial abgetan. Auf vergleichbare Schwierigkeiten stößt der deutsch-französische Kulturkanal arte, dessen deutsche Programme in Frankreich so wenig Anklang finden, daß man sie dort am liebsten gegen eigene Sendungen ersetzen möchte.
Europaweit ähnlich sind allein die Bedingungen, unter denen die Sendeanstalten wirtschaften müssen. Neben dem wachsenden Einkauf der Programme auf dem internationalen TV-Markt zählt dazu die zunehmende Vergabe von Auftragsproduktionen, um das eigene finanzielle Risiko geringhalten zu können. Statt der Rundfunkanstalten werden also freie Produzenten die Programme erstellen, wobei freilich auch hier ein Konzentrationsprozeß zu größeren Produktionsfirmen führen wird. Diese haben bessere Wettbewerbschancen, da sie sowohl Personal als auch technische Ausstattung wirtschaftlicher einsetzen können. Da die Produktionsfirmen auf dem europäischen Markt konkurrieren und daher kommerziell arbeiten müssen, wird die kostengünstige Herstellung von Programmen mehr Bedeutung erhalten als die qualitätsvolle Vermittlung von Inhalten, die nur ein Minderheitenpublikum, also etwa eine einzige Nation oder einen einzigen Sprachraum, betreffen.
In das populäre europäische Fernsehprogramm dürften demnach kommerziell uninteressante Themen und Nachrichten keinen Eingang mehr finden. Die Themenvielfalt, die das Engagement der Medienriesen sowohl im Druck- als auch im Rundfunkbereich ohnehin schon verriegelt hat, dürfte weiter eingeschränkt werden. Dies ist auch deshalb anzunehmen, weil der Geldbedarf der Produktionsfirmen, die die zunehmenden Aufträge nur durch Investitionen auffangen können, auf einen wachsenden Einfluß der Banken schließen läßt; dadurch entstehen Abhängigkeiten, die den freien Fluß der Informationen beeinträchtigen können.
Daher nimmt die Bedeutung der zum Großteil über Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ungemein zu. Allerdings läßt die derzeitige Finanzmisere bei ARD und ZDF befürchten, daß auch dort die Fürsprecher kommerzieller Sendungen Auftrieb gegenüber denjenigen erhalten, die die Nischen für die öffentlich-rechtlichen Sender in Regionalität und Qualität sehen. Wenn ARD und ZDF ihren Programmauftrag aber ernst nehmen, wird das im vereinten Europa bedeuten, daß sie entgegen den austauschbaren Programmen der kommerziellen Sender die kulturelle Identität der Regionen ansprechen und die Zuverlässigkeit der Nachrichten garantieren müssen.
Allerdings ist zu bedenken, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten wegen des Kapitalbedarfs auf eine Zweit- beziehungsweise Drittverwertung ihrer Programme in Form von Büchern, Schallplatten, CDs oder Videocassetten setzen müssen. Dafür haben sie jedoch mit Vertriebsgesellschaften in Beziehung zu treten, die die Unabhängigkeit des Programms wiederum gefährden können. So arbeitet das ZDF schon mit der Bertelsmann AG zusammen, die ihrerseits an RTL plus beteiligt ist. Von einer dem freien Informationsfluß zuträglichen „Gewaltenteilung“ und von Produktionsbedingungen, die an Qualität orientiert sind, kann für den Rundfunk im Gemeinsamen Europa derzeit also nicht ausgegangen werden. Manfred Loimeier
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