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Brutal bewachte Schatzkammer

Der militärische Unterdrückungsapparat in der „Union of Myanmar“, früher Birma, verschärft die Isolation des traditionsreichen Landes in Südostasien. Ein Reisebericht  ■ Von Volker Klinkmüller

In der Ferne glitzert der breite Ayeyarwady – mit 1.400 Kilometern die Lebensader von Myanmar. Kaum noch zu erkennen sind die Stadtkulisse Mandalays und die Berge. Schweißgebadet und mit schlotternden Knien stehe ich auf dem 236 Meter hohen Mandalay-Hill. Und nun? Es ist stockfinster. Die kleinen Lampen der von Tempelanlagen unterbrochenen Treppenaufgänge leuchten nicht. Im Dunkeln 1.729 Treppenstufen hinab? Widerwillig beginne ich, mich Stufe um Stufe durch das verwirrende Zickzack der Gänge hinunterzutasten.

Verschwunden sind die rotgekleideten Mönche, die Frauen mit den Erfrischungsgetränken und die grummelnden Wahrsager. Ein Königreich für eine Taschenlampe, denke ich, als in unmittelbarer Nähe ein Hund loskläfft und ich fast gegen einen grinsenden Buddha pralle. Dann endlich – schwacher Kerzenschein! Verdutzt nimmt mich eine Runde zurückgebliebener Mönche auf, sichert für den Rest des Weges Geleit zu. Zunächst wollen sie ihr Englisch trainieren, dann wird die Unterhaltung vertrauter. Sie erzählen von Verleumdungen und Tempelarrest, mit dem Mandalays Mönche von den Herrschenden bestraft wurden. Die Geistlichen waren in Opposition gegangen, hatten Militärs und deren Familien von den Glaubensriten ausgeschlossen. Noch am Vormittag zeigte uns der Reiseleiter des staatlichen Reisebüros „Myanmar Travel & Tours“ ein harmonisches Miteinander, als er uns ins Mahagandaryon-Kloster führte: Zu einer Spendengemeinschaft aus mehreren Familien, die dort für 1.250 Mönche kochte, gehören auch bewaffnete Soldaten.

Tiefe Religiosität bestimmt den Alltag der Birmesen – besonders hier in Mandalay. Die zweitgrößte Stadt Myanmars lebt vom religiösen Kunstgewerbe. Arbeitsgemeinschaften, die den ganzen Tag zusammenhocken, produzieren für Niedrigstlöhne Buddhas aus Marmor, Alabaster, Holz oder Metall. Im Halbdunkel eines Schuppens hämmern schweißtriefende Männer – wie es das Ritual erfordert – genau fünf Stunden auf Gold herum, das zwischen 1.000 Lagen angefeuchteten Papiers dampft. Mit dem hauchdünnen Blattgold überziehen Gläubige im ganzen Land Buddhas, verformen die üppigen Proportionen bis zur Unkenntlichkeit. Der Buddhismus, der das Dasein als Ursache allen Leidens begreift und sämtliche Hoffnungen auf das Jenseits richtet, kommt den Herrschenden entgegen. Doch überall gärt es. Den wenigen Touristen, die Myanmar besuchen, kann dies trotz aller Bemühungen der Regierung nicht verborgen bleiben. Dabei ist es wohltuend, ein Fleckchen Erde zu bereisen, das der Verwestlichung noch nicht nachgegeben hat und die schönsten Pagodenstädte Asiens besitzt. Myanmar ist übersät mit historischen Stätten jahrtausendealter buddhistischer Tradition. Unzählige Bauwerke sind mit bunten Edelsteinen bestückt, die in Massen aus der Erde Myanmars gegraben werden und das Land zu einer einzigen Schatzkammer gemacht haben.

Vor dem Verlassen der gebuchten Reiseroute wird gewarnt. Der erbarmungslose Krieg gegen die Minderheiten an den Landesgrenzen könnte auch Touristen gefährlich werden. Außerdem hat die Armee genug zu tun, das eigene Volk in Schach zu halten. Die seit dem Scheitern des birmesischen Sozialismus-Experiments herrschende Militär-Clique schert sich weder um die Selbstbestimmung der 42 Millionen Untertanen noch um internationale Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen. Schikanen, Verhaftungen, Zwangsarbeit und Folter sind an der Tagesordnung. Die Despotie der Generäle knüpft an Traditionen größenwahnsinniger Könige und europäischer Kolonialherren an. Beim Niedermetzeln des Volksaufstands im Sommer 1988 soll es (mit schätzungsweise 5.000) mehr Todesopfer gegeben haben als beim Pekinger Tiananmen-Massaker. Danach haben die Militärs das ehemalige Birma in „Union of Myanmar“ umbenannt, um nicht länger an die blutigen Schlagzeilen der Weltpresse zu erinnern. Aber noch immer weigert sich der „Rat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung“ (Slorc) beharrlich, seine Macht abzugeben. Dabei hat die „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) bei den freien Wahlen im Mai 90 rund 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können.

Der Bürgersteig im schachbrettartigen, in viktorianischer Kolonialarchitektur angelegten Stadtzentrum von Yangon – früher Rangun genannt — ist von Betel- Auswurf rot gefleckt. Keine Hochhäuser, keine Leuchtreklame, keine Jeans. An den langen Reihen zweistöckiger Wohnhäuser klettern Moosflechten, wachsen Gras und Sträucher aus den Stuckornamenten. Überall Straßenhändler. In Trauben hängen die Menschen an schrottreifen Klein- Lkws oder lassen sich in Fahrrad- Trishaws durch die Stadt strampeln. Ein Gewimmel aus knöchellangen Wickelröcken, Männer tragen die traditionellen Longyis gestreift oder kariert; Frauen bevorzugen bunt geblümte – und cremefarbenes Make-up aus der Rinde von Thanakabäumen, das sie sich als Sonnenschutz ins Gesicht schmieren.

An der Rezeption des kolonialen Strandhotels, wo einst Rudyard Kipling und William Somerset Maugham logierten, tausche ich mein erstes Geld. Für 10 Anstandsdollar gibt es 60 Kyats. Das Dreizehnfache bekomme ich später von einem Kellner für 10 schwarze Dollar. Ohne eingeschmuggelte Devisen wäre Myanmar ein unverhältnismäßig teures Reiseland, würde eine Dose Cola umgerechnet 9 Dollar kosten. Die Generäle brauchen Devisen für ihre aufgeblähten Tadmadaw – die „Streitkräfte des Volkes“. Dafür verschachern sie auch die Reichtümer des Landes: mit den Einnahmen aus dem Verkauf von Tropenhölzern, Edelsteinen, Fischereirechten und Wolfram wird die Unterdrückung finanziert. Rapide verschlechtern sich die ohnehin schon bescheidenen Lebensumstände der Bevölkerung. Aus der einstigen Reiskammer Asiens ist das neuntärmste Land der Welt geworden.

„Wir sind absolut machtlos. Ein birmesischer Gorbatschow – der könnte uns vielleicht helfen!“ sagt Maung. Ich habe den 24jährigen Medizinstudenten in einem Straßencafé kennengelernt. Wir sitzen auf winzigen Hockern, schlürfen Tee aus kleinen Tassen. Nachdem er sich unauffällig umgesehen hat, erzählt er hinter vorgehaltener Hand von Besonderheiten Yangons, die in keinem Reiseführer stehen. Nicht nur die nächtliche Ausgangssperre erinnert daran, daß Myanmar unter Kriegsrecht steht. Wenige Straßenzüge entfernt liegt das schwer bewachte Haus der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi. Sie steht unter Hausarrest, obwohl sie seit der Verleihung des Friedensnobelpreises Ende 1991 auch außerhalb Myanmars bekannt ist. Auch über die rätselhaften neuen Fußgängerbrücken in der Innnenstadt klärt mich Maung auf. Wie die großen Eisenzäune an größeren Kreuzungen gehören sie zur Stadtplanung der inneren Sicherheit. „Von dort oben können Soldaten mit einem Maschinengewehr die ganze Straße kontrollieren“, erläutert der Student. Dabei bedeutet der Name der Stadt Yangon eigentlich „keine Feinde mehr“.

Nicht nur der brutale Unterdrückungsapparat schreckt Reiseveranstalter ab. Touristen werden nur mit vorgebuchten Gruppenreisen eingelassen. Die Regierung vernachlässigt die touristische Infrastruktur des weitgehend isolierten Landes so sehr, daß Rundreisen – auch angesichts der staatlich beschränkten Aufenthaltsdauer von zwei Wochen – recht beschwerlich werden können. Kamen früher noch über 40.000 Fremde im Jahr, waren es im vergangenen gerade noch ein Viertel davon. Das trifft vor allem die karge Ebene von Bagan. Wir erreichen sie, nachdem unser klappriger Kleinbus stundenlang durch rotes Ödland mit Akazien und Kakteen gerattert ist. Die Bewohner leben von der Vermarktung der alten Königsstadt, die im Mittelalter eine halbe Million Menschen zählte. 13.000 Tempel, Pagoden und Klöster wurden hier bis zum Einfall der Mongolen gebaut. Marco Polo berichtete von einem der „großartigsten Anblicke der Welt“. Immerhin blieben 2.200 Bauwerke übrig. Unsere Ankunft hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Unterwegs zu den Sightseeing-Pagoden werden wir abgefangen, sollen unbedingt etFortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

was kaufen, tauschen oder verschenken. Sogar Novizen betteln um „Money, money“.

Zurückhaltender als die anderen ist Soe. Ich überlege nicht lange, als mir der Birmese anbietet, mit dem Fahrrad tiefer ins Pagodenfeld zu fliehen. Es ist brütend heiß, die naßgeschwitzten Klamotten kleben am Körper. Soweit das Auge reicht: goldene und weiße Kuppeln, ockergelbe Zylinder und Kegel, rote Stupastümpfe und bereits zugewachsene Schutthügel. Einige Bauwerke haben dicke Risse vom letzten Erdbeben. An anderen zeugen aufgestemmte Löcher von Schatzräubern. Über Sandwege und Dornengestrüpp gelangen wir zu einem Wasserloch, wo Männer – wie ihre Vorfahren – Lehm stampfen, Ziegel formen und sie mit Holzfeuer brennen. Kein Wunder, daß von den dichten Wäldern Bagans nichts mehr zu sehen, die Ebene völlig versteppt ist. Immer wieder kühlen wir uns in den Bauwerken ab, bis wir zur Lieblingspagode von Soe gelangen. Durch steile, körperbreite Treppentunnel führt er mich auf allen vieren nach oben. Dann schließt sich eine Kletterpartie an, die über Außenterrassen in schwindelerregende Höhe führt. Endlich sind wir oben, genießen keuchend – umkreist von lautlosen Libellen – die mythologische Stimmung des Ruinenfelds.

Soe nimmt mich mit in seine Hütte. Durch das Fenster zeigt er auf die eingestaubte Droschke, mit der er früher Besucher durch die Gegend gefahren hat. „Das dazugehörige Pferd mußte ich verkaufen, weil ich das Futter nicht mehr bezahlen konnte“, klagt er. Was er dann erzählt, kann ich kaum glauben. Mit fadenscheinigen Argumenten und ohne nennenswerte Entschädigung seien die 2.500 Einwohner Bagans vor zwei Jahren gezwungen worden, ihre Häuser abzureißen und vier Kilometer entfernt neu zu siedeln. Rettungsversuche von Historikern fruchteten nicht, die Wortführer des Protestes wanderten ins Gefängnis. „Der Neubeginn war teuer – und nun bleiben auch noch die Touristen aus“, schimpft er.

Die Kühle der Berge tut gut. Seit dem frühen Morgen schaukeln wir im Geländewagen einspurige, kurvenreiche Straßen entlang, deren Schlaglöcher uns bis ans Dach hüpfen lassen. Durch dichten Tropenwald, über Brücken und an reißenden Gebirgsbächen entlang fahren wir immer höher nach Taunggyi. Die Berggipfel hüllen sich in dichte Wolken. In der Provinzhauptstadt des Shan-Staates trifft man die Staatspropaganda häufiger als anderswo: „Liebe das Mutterland“, „Nur mit Disziplin wird es Fortschritt geben!“ oder „Zerschmettert alle destruktiven Elemente!“ prangt von den dunkelroten Plakatwänden. Es wimmelt von schwerbewaffneten Soldaten. Irgendwo hier endet der Einflußbereich der Regierung, weiter hinten beginnt Thailand. Das unwegsame Terrain dazwischen beherrschen die Shan-Rebellen. Wie die Stämme der Karen oder der Kachin – nur 3 der 70 ethnischen Gruppen in Myanmar – finanzieren sie ihren hartnäckigen Widerstand mit Schmuggelei, Schwarzmarkt und Schlafmohn. In einem Bergdorf verstopft buntes Treiben die Durchgangsstraße. Bis zu drei Lagen mit Körben, Tonnen, Säcken und Menschen beladen sind die japanischen Hino-Diesel, die zum Markt heranächzen. In den bunten Trachten ihrer Stämme balancieren Frauen Kopflasten zu hochrädrigen Ochsenkarren. Tiere stöhnen eingepfercht in engen Rohrkörben. Feste und flüssige Brennstoffe wechseln in kleinen Portionen den Besitzer. Es riecht nach gedörrtem Fisch, frischen Blumen, würzigem Gemüse. In 14stündiger Fahrt sind wir mit dem Nachtzug in die Hauptstadt Yangon zurückgekehrt. Noch einmal zieht es mich zum Wahrzeichen Myanmars – der Shwedagon-Pagode. Mein Blick wandert den mit fast 9.000 Goldplatten belegten Stupa hinauf, der im Mittelpunkt der ältesten und prachtvollsten Pagode der Welt glänzt. Im Himmel funkelt die mit über 5.400 Diamanten, rund 2.300 Rubinen, Saphiren und Topasen geschmückte Spitze, auf der ein riesiger Smaragd die ersten und letzten Sonnenstrahlen des Tages einfängt. Erneut lasse ich mich vom Zauber der Kultstätte gefangennehmen. Wie die Gläubigen umrunde ich im Uhrzeigersinn den glockenförmigen Stupa, in dem acht Haare des letzten Buddhas verborgen sein sollen. Die Besucher knien andächtig nieder, opfern Kerzen, Räucherstäbchen, Blumen oder übergießen kleine Buddha-Statuen mit heiligem Wasser. Im Schatten einer Tempelhalle meditiert weltentrückt ein Asket, nicht weit entfernt kichern Mädchen über ihren Schulheften, löffelt eine Familie den mitgebrachten Reis. Auch ich spüre etwas von der zeitlosen Ruhe und religiösen Tiefe, die mir – neben dem wachsenden Widerstandswillen der Bevölkerung – überall in Myanmar begegnet ist.

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