: Eine Richtlinie gegen den Rassismus
■ Unabhängige ExpertInnen legen dem EG-Gipfel den Entwurf für ein europäisches Antidiskriminierungsgesetz vor
Berlin (taz) – „Bloß nicht schon wieder eine Gipfel-Erklärung gegen Rassismus“, hoffen Menschenrechtsorganisationen am Vorabend des EG-Treffens in Edinburgh. Seit Mitte der 80er Jahre ist die Entrüstung auf höchstem politischen Niveau zur traurigen Routine in der Gemeinschaft geworden: Das Europaparlament ließ zwei umfangreiche Berichte über den in allen EG-Ländern existierenden Rassismus erstellen – der dritte ist in Arbeit – und verabschiedete eine ganze Reihe von Resolutionen gegen den Rassismus.
Die Kommission verurteilte immer wieder Übergriffe. Und die Staats- und Regierungschefs der EG-Länder verfaßten mehrere Erklärungen gegen den Rassismus – zuletzt beim Maastricht-Gipfel im vergangenen Jahr. Nach der Schändung des jüdischen Friedhofs im südfranzösischen Ort Carpentras verurteilte ein EG-Gipfel den Antisemitismus.
Aus dem damals verabschiedeten Text der Carpentras-Erklärung waren jedoch alle ursprünglich vorgesehenen konkreten Vorschläge wie Aufklärung, gemeinsame europäische Erziehungsprojekte und die Definition von Rassismus und Antisemitismus als einem Handelshindernis gestrichen.
Für Edinburgh zeichnet sich eine Wiederholung dieses folgenlosen Rituals ab, seit der niederländische Außenminister Hans van den Broek vor einigen Tagen anregte, beim Gipfel über „den wach
senden Rassismus in Europa“ zu sprechen. Um diese Debatte positiv zu wenden, haben unabhängige ExpertInnen den Staats- und Regierungschefs den Entwurf für eine „Antirassismus-Richtlinie“ auf den Tisch gelegt.
Artikel eins der Richtlinie definiert, was „gleiche Behandlung“ ist: „Die Abwesenheit von jeder Art von Diskriminierung – ob direkt oder indirekt – aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Nationalität, nationaler oder ethnischer Herkunft im wirtschaftlichen, sozialen und kuturellen Bereich“. Diese Prinzipien müssen in allen Mitgliedsländern binnen zwei Jahren zum verbindlichen Recht werden. Wo sie verletzt werden, haben Einzelpersonen – aber auch Organisationen – das Recht zu klagen.
Seit Monaten schon arbeiteten zahlreiche europäische Organisationen, darunter Kirchengruppen, Ausländerbeauftragte und Flüchtlingshilfsorganisationen, an der Richtlinie. Ursprünglich wollten sie ihr Projekt erst im kommenden Jahr in die Debatte bringen. Wegen der aktuellen Ereignisse in Deutschland haben sie es vorgezogen. Mindestens sechs Regierungschefs, darunter auch Bundeskanzler Kohl und der Präsident des Europaparlaments, der deutsche Christdemokrat Egon Klepsch, haben den Entwurf in den vergangenen Tagen erhalten.
Jan Niessen vom „Komitee der Kirchen für Immigranten in Europa“ in Brüssel, der federführend an der Richtlinie mitgearbeitet hat, hofft, daß sich gerade Kohl für ein europäisches Antidiskriminierungsgesetz einsetzt. Denn „es gibt gute Gründe für die Bundesrepublik, das zu tun“. In einigen EG- Ländern existieren auf nationaler Ebene vergleichbare Antidiskriminierungsgesetze. Dennoch erwartet Niessen Widerstände gegen den Entwurf. Vor allem Großbritannien und Dänemark wehren sich gegen eine politische Aufwertung der EG.
Rassistische Gewalttaten verhindern kann eine europäische Richtlinie nicht. Immerhin würde sie aber alle Mitgliedsstaaten verpflichten, Diskriminierungen zu verfolgen, sagt Marcel Zwamborn, Direktor des Niederländischen Büros gegen Rassismus (LBR).
Jan Niessen zitiert den amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King, der den VerfasserInnen der Richtlinie Pate gestanden hat: „Ich kann Menschen nicht davon abhalten zu töten, aber ich kann es zumindest strafbar machen.“ Dorothea Hahn
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