: Eine wuchernde Legende
■ Der Architekt Peter Eisenman stellte seinen Entwurf für ein „Max-Reinhardt-Haus“ vor
Es gibt Dinge, die so unwahrscheinlich sind, daß sie eben dadurch glaubhaft wirken. Credo quia absurdum. Es ist deshalb kein Zufall, daß Peter Eisenman Begriffe der Scholastik zu Hilfe nimmt, wenn er seinen Entwurf für ein Max-Reinhardt-Gedenkhaus am Berliner Spreebogen erläutern will. Sein Projekt sei eine absolute „Singularität“, nämlich nur genau das, was es sei.
Zumindest der Baugrund wäre bekannt, weil historisch. Eisenmans Werk soll auf dem Gelände des Theaters zu stehen kommen, das Max Reinhardt bauen ließ. Es wurde von den Nazis enteignet und im Krieg zerstört. Von dieser Vergangenheit aber wollte der Architekt nicht weiter reden. Mit selbstbewußter Naivität denkt er an ein Denkmal der Zukunft. Die Journalistenschar saß verdutzt vor den Modellen und Grafiken. Die Logik transzendenter Gegenstände war im Mittelalter Europas geläufiger als heute. Aber auch seine Studenten verstünden diesen Punkt der Singularität in der Regel nicht, tröstete der eloquent vortragende Amerikaner über die Verlegenheit hinweg.
Es lohnte sich indessen sehr wohl, sich auf die Metaphysik dieses denkenden Konstrukteurs einzulassen. Unwahrscheinlich zwar, denn preußische Bauordnungen und moderne Krämerpolitik des amtierenden Senats stehen dagegen, aber immerhin denkbar wäre es, daß Berlin ein architektonisches Ereignis ersten Ranges gewänne, vergleichbar am ehesten mit der Grande Arche von Paris. Arg zerknittert allerdings stände der französische Triumphbogen des Präsidenten Mitterrand in der deutschen Hauptstadt, daher passender, wie Eisenman befand, für deren windungsreichere Geschichte.
Falsch wäre es indessen zu sagen, sein Entwurf trage die Handschrift einer Person. Tatsächlich war er nur mit dem Computer konstruierbar. Das 128 Meter hohe Doppelhaus soll Theater- und Kinosäle, ein 130-Betten-Hotel, eine Schwimmhalle im Olympiaformat beherbergen, nebst Läden, Büros und einer Nachtbar in luftigster Höhe. So sieht es das Nutzungskonzept vor, mit dem die Investoren, nämlich Max Reinhardts Erben und die Frankfurter Immobilienfirma „Adventa“ den Bau finanzieren wollen. Doch sichtlich gewohnt, Widersprüche der Funktionen auszuhalten, will Eisenman diese lukrativen Innereien durch einen halbtransparenten Glasvorhang vergessen lassen. Das Monument soll nicht nur kommerzielle Megalopolis, sondern weithin sichtbares Symbol sein für die Geschichte der Stadt, als überdimensionales Stadttor City und Regierungsviertel verknüpfen und zugleich, so Eisenman, die Antithese zur phallischen Form der üblichen Wolkenkratzer formulieren (von denen behauptet wird, daß sie in Berlin ohnehin nicht erwünscht seien).
Unübersehbar und durchaus beabsichtigt erinnert das in seiner Mitte aufgerissene Gebilde an das weibliche Geschlecht, auch an die Verknäuelungen der DNS-Doppelhelix wird man denken dürfen, ebenso an geologische Formationen oder gar an romantische Kunstgrotten.
Keine dieser Assoziationen trifft jedoch den Kern. Denn genau genommen entzieht sich dieses Gebäude der Anschauung, so sehr es sich andererseits durch seine schiere Größe dem Auge aufdrängt. Aber der Blick wird sich verwirren in mal spiegelnden, mal opaken Glasflächen, die in schiefen Kuben übereinander getürmt und ineinander verschachtelt sind. Die bloße Zeichnung der Umrißlinien stößt an die Grenzen der zweidimensionalen Darstellbarkeit, denn tatsächlich handelt es sich um das Ergebnis einer zugleich simplen und komplexen mathematischen Operation – wahrlich nicht das einzige Paradox dieses Entwurfs.
Dieses „Max-Reinhardt-Haus“ ist eine sogenannte Moebius-Schleife. Um sich dieses Konstrukt der Unmöglichkeit vorzustellen, genügt es, die Enden eines Papierstreifens um 180 Grad verdreht zusammenzukleben, um ein – räumliches – Modell des Prinzips zu erzeugen. Wer dies schlichte Bild aber verstehen will, gerät in böse Schwierigkeiten: Dem noch immer handfesten Streifen fehlt plötzlich die Rückseite, wie mit Hilfe eines Bleistiftstrichs wiederum verblüffend leicht festzustellen ist.
„Ein Moebius-Ring hat keinen festen Ort“ formuliert denn auch Eisenman die unwahrscheinlichste seiner Unwahrscheinlichkeiten. Was keinen Ort hat, kann alles mögliche sein, wohl kaum aber das Strukturprinzip eines alle Berliner Maßstäbe sprengenden Hauses. Rechnerprogramme haben es dennoch möglich gemacht, zwei Ingenieurbüros haben seine Realisierbarkeit nachgewiesen, die Kosten allerdings seien in einem 30seitigen Sonderordner nachzulesen – vor der Presse mochte Dieter Bock, der Chef der Frankfurter Investmentfirma, „lieber keine als eine falsche Zahl“ nennen.
Bock ist persönlicher Freund des Architekten und hat seine Art der Unwahrscheinlichkeit zu der schon jetzt wuchernden Legende dieses Projekts beigesteuert. Der Finanzmann gab Eisenman freie Hand. Die Sache durfte kosten, was sie wollte, Nutzungsvorgaben jeglicher Art entfielen. Wohl möglich, daß nur so etwas entsteht, was am besten dadurch definiert ist, daß es ist, was es ist.
Ist es überhaupt ein Haus? „Oh ja, natürlich“, sagt Eisenman, seine kristalline Endlosschleife sei „ein Schutzschild“, berge zahllose Funktionen menschlichen Lebens in sich, und ohnehin sei das weibliche Geschlecht der „Inbegriff aller Behausung“. Andererseits erinnert Eisenmans Entwurf leider auch fatal an Goethes anthroposophisch raunenden Epigonen Rudolf Steiner, den irrationalistischsten Feind aller rechten Winkel.
Nun, weniger aus philosophischen denn aus Gründen politischer Alltagserfahrung sind die Chancen nicht sehr groß, daß das spekulative Gedanken-Ding jemals Existenz gewinnt. Sein aufdringlicher Symbolismus dürfte den politischen Konsens überfordern.
Der Regierungskoalition schien es bislang nicht einmal nötig, dem kaum zu widerlegenden Besitzanspruch der Reinhardt-Familie auf das Gelände Rechnung zu tragen. Der Bausenator hat im Sommer einer dänischen Baufirma kurzerhand den Zuschlag gegeben, Peter Eisenman war zu dieser Zeit nämlich noch mit seinen Rechnern beschäftigt.
Doch der Zorn des Erben Gottfried Reinhardt klingt vorerst überraschend verhalten. Schon vor der Enteignung durch die Nazis sei sein Vater zwar berühmt, bei den Stadtbehörden aber unbeliebt gewesen. Die Zurückhaltung des Sohnes könnte gute Gründe haben. Denn inzwischen bahnt sich eine stille Geschäftskoalition an: Dieter Bock schlug den Dänen vor, ihren eigenen Architekten zu entlassen und statt dessen Eisenmans mathematische Vagina zu bauen. Das Angebot werde wohlwollend geprüft, heißt es. Es gibt eben Dinge, die so sehr aller Erfahrung widersprechen, daß man sie einfach glauben muß. Niklaus Hablützel
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