■ Neu im Kino: Howard's End
Neu im Kino
Howard's End
Alles beginnt mit einem Kuß — nachts unter einem dicken Baum auf dem Landsitz Howard's End der Familie Wilcox. Charles, der ebenso dulle wie arrogante Sohn hatte zuviel getrunken. Helen Schlegel, derart überrumpelt, ist dennoch nicht abgeneigt. Immerhin handelt es sich bei Charles um den Filius einer einflußreichen Geld-Dynastie. Für Helen tun sich Perspektiven auf. Sie fühlt sich verlobt.
England um die Jahrhundertwende: Die Industrialisierung ist in vollem Gange, erste Automobile bedrängen die Pferdefuhrwerke auf den Straßen. Wohl denen, die dem Treiben Londons in eine Idylle wie Howard's End entfliehen können. Die Wilcoxes dagegen lieben mehr das großbürgerliche Leben der Stadt. Sie ziehen ausgerechnet in ein Haus, das dem Helen Schlegels gegenüber liegt.
Der britische Regisseur James Ivory läßt sich viel Zeit, sein sozialpsychologisches Film- Kaleidoskop zu entwickeln. Wie schon in „Zimmer mit Aussicht“ und „Maurice“ legt er auch diesmal viel Wert auf die Bebilderung von Klassengegensätzen. Hier die überhebliche, von keinen Selbstzweifeln getrübte Welt des Großbürgertums der Wilcox'. Dort die junge Helen ( Helena Bonham Carter) mit ihrer feinsinnigen Schwester Magaret (Emma Thompson).
Die Schlegels, nicht gerade arm, aber längst nicht so wohlhabend wie ihre Nachbarn, versuchen die Klassenunterschiede mit Bildung auszugleichen. So ergeben sich zwar Berührungspunkte bei gelegentlichen Höflichkeitsbesuchen, doch ein Graben bleibt, und Ivory zeigt, wie tief er ist.
Seine Schauspieler machen es ihm dabei leicht. Vanessa Redgrave, die hinfällige und leicht träumerische Lady Wilcox, weiß um ihren engen sozialen Spielraum. Etikette bedeutet ihr alles. Anthony Hopkins als Ehemann Henry ist völlig auf Konventionen fixiert. Mit unglaublicher Kälte und Zynismus behandelt er seine Umwelt. Das exakte Gegenteil: Emma Thomson als Margaret. Jede noch so kleine Regung spielt sie mit größter Intensität der Gefühle.
Howard's End ist auch ein detailversessener Austattungsfilm. James Ivory hat jede Filmszene penibel durchgeplant. Ob er die Kamera ruhig über die geschwungenen Hügel Shropshires gleiten läßt oder ein breites, holzgetäfeltes Treppenhaus hochfährt, alles geschieht mit größter Sorgfalt. Die verschiedenen Handlungskanäle vereinigen sich gegen Ende der über zwei Stunden zu einem breiten Strom. Der heißt bei Howard's End nicht Versöhnung, sondern Kapitulation. J.F.Sebastian
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