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Krisenhilfe als Gewerbe

■ Privates Heim bietet alleinstehenden Müttern oder Vätern mit Kindern Aufnahme / Betreiber wollen ihr Haus mit Vergewaltigungsopfern aus Ex-Jugoslawien füllen

Friedrichshain. Am 23. September 1992 wurde in Friedrichshain das Haus „Krisen und Kinder“ eröffnet. Das Konzept klingt gut, die Seriosität der Einrichtung muß sich allerdings noch herausstellen. Denn das „Krisen- und Kinderhaus“ ist keine Hilfseinrichtung eines kommunalen oder anerkannten freien Trägers, sondern eine gewerbliche Privatinitiative. Betreiber ist die „Private soziale Dienste GmbH“ (PRISOD) mit Sitz am Alexanderplatz. Für 78 Mark pro Nase und Tag können hier alleinstehende Mütter oder Väter, die sich in akuter Notlage befinden und mindestens ein Kind haben, vorübergehend Aufnahme finden. Bei Einweisungen durch Bezirks- oder Jugendämter übernehmen diese die Kosten, bei selbstgesuchter Hilfe muß der Betrag vom eigenen Einkommen oder von der Sozialhilfe finanziert werden. Sozialpädagoginnen, ein Neurologe und ein Psychologe stehen den Bewohnern des Krisenhauses während des Aufenthaltes zur Verfügung, die Beratungskosten sind im Tagessatz inbegriffen, die Verpflegung nicht.

Nach Auskunft der Geschäftsführerin Elke Rohwald leben derzeit sechs Frauen im Haus, einschließlich Säuglinge und Kinder insgesamt zehn Personen. Jede Kleinfamilie bewohne ein Zimmer in einem „komfortablen und frisch modernisierten Altbau“. Um das Haus kostenneutral oder gar gewinnbringend zu bewirtschaften, reichen diese Notfälle aber nicht aus. In einer Pressemitteilung weist die PRISOD deshalb darauf hin, daß das Krisenzentrum noch Plätze frei hat. Ihr Haus sei besonders geeignet „für Frauen mit ihren Kindern in Lebenskrisen“. Wie die PRISOD in der Senatsverwaltung für Soziales erfahren haben will, sollen demnächst „jugoslawische Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen geworden sind“, nach Berlin kommen. Diese Frauen, so heißt es in der Mitteilung, dürfen nicht in „Obdachlosen- oder Asylunterkünften untergebracht werden“, sondern benötigen sozialtherapeutische und psychologische Hilfen, die das „Krisen und Kinder“ zur Verfügung stellen könne.

Diese Rechnung wird allerdings nicht aufgehen. Weder in der Sozial-, noch Jugend-, noch Gesundheitsverwaltung, geschweige denn in der Innenverwaltung existieren Pläne, vergewaltigte bosnische Frauen nach Berlin zu holen. Auch die Senatsverwaltung für Frauen und Arbeit hält es für „ziemlich unwahrscheinlich, Frauen nach Berlin zu holen“, so die Pressesprecherin Sabine Lang. Sie hält es für sinnvoller, ein gynäkologisches Krisenzentrum in Zagreb zu unterstützen. Die PRISOD muß sich also was anderes überlegen, um den Wettbewerb mit den insgesamt sieben pflegeplatzfinanzierten Mutter-und-Kind-Einrichtungen in der Stadt zu bestehen. Und ein weiteres Manko ist augenfällig.

„Kinder und Krisen“ hat bisher keinen Antrag auf eine Betriebserlaubnis nach Paragraph 75 des Sozialhilfegesetzes gestellt. Nach Ansicht der Heimleiterin Manuela Ohnesorge sei dies auch nicht nötig, da nicht die Kinder und Jugendlichen sozialpädagogisch betreut werden, sondern nur die Mütter oder Väter. Nach Ansicht des Senats, so das Ergebnis einer kleinen Anfrage der SPD-Abgeordneten Ursula Leyk, handelt es sich bei „Krisen und Kinder“ deshalb um einen gewinnorientierten „Beherbungsbetrieb mit zusätzlichem Betreuungsangebot“. Den Bezirken sei die Inanspruchnahme „weder empfohlen noch abgeraten worden“. Der Senat unterstütze die Erweiterung des Hilfsangebotes für Eltern-Kind-Einrichtungen, werde aber nicht mit gewerblichen Trägern zusammenarbeiten.

Auch dem Kindernotdienst ist die Einrichtung bekannt. Elke Rohwald, Geschäftsführerin von „Krisen und Kinder“ und zugleich auch Gesellschafterin bei PRISOD, hat früher beim Kindernotdienst gearbeitet. In mindestens einem Fall hat der Bezirk Friedrichshain eine Mutter mit Kindern im privaten Heim untergebracht, die zuvor im Kindernotdienst betreut wurden. Dem Amtsleiter der Friedrichshainer Familienfürsorge, Gerard Jurasche, ist über „Kinder und Krisen“ nichts Nachteiliges bekannt, denn „die Einrichtung ist sehr ordentlich ausgestattet“. Generell, sagt er, „weisen wir gefährdete Personen aber nur in Häuser ein, die über eine Betriebserlaubnis im Sinne des Kinder- und Jugenschutzgesetzes verfügen“. In anderen Bezirken ist das Haus in Friedrichshain völlig unbekannt. Sehr zum Leidwesen der Betreiber. Denn sollten alle sieben Wohnungen mit ihren je drei Zimmern mit durchschnittlich drei Personen belegt sein, dann würde die PRISOD pro Tag fast 5.000 Mark einnehmen. Nur dann bräuchten sie nicht auf die vergewaltigten Frauen aus Bosnien zu warten. Anita Kugler

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