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Schwein? Dichter? Dichtendes Schwein?

■ Schriftsteller-Kollegen von Heiner Müller reagieren erstaunt und verblüfft

Heiner Müller hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen zu sein, als „Denunziation“ zurückgewiesen. Der Ostberliner Autor Dieter Schulz will jedoch, wie er dpa bestätigte, von einer „zuverlässigen Quelle“ Details über Müllers Stasi-Kontakte erfahren haben. Wie gestern berichtet, habe es zunächst einen „IM- Vorlauf“ mit dem Decknamen „Zement“ gegeben, später habe sich dann der IM „Heiner“ in konspirativen Wohnungen mit Stasi- Offizieren getroffen. Müller selbst war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Ein Sprecher der Gauck-Behörde wollte keine Angaben machen. Er verwies auf die Möglichkeit für Müller, in eine gegebenenfalls vorhandene Akte teilweise Einsicht zu nehmen.

„Von Verblüffung und Erstaunen gekennzeichnet“ sind nach dpa die ersten Reaktionen von Schriftstellerkollegen. Wolf Biermann, immerhin derjenige, der Sascha Anderson beherzt als Stasi- Mitarbeiter und „Arschloch“ enttarnt hatte, erstaunlich zögerlich: „Ich muß darüber nachdenken.“ Schließlich habe er auch gerade vom Berliner Ensemble, zu dessen Leitung Müller gehört, ein Auftrittsangebot erhalten. Er halte Müller nach wie vor für einen großen Dichter; allein dadurch sei er schon ein Oppositioneller gewesen – „ein Dorn im Fleische der Bonzen“. „Ich liebe ihn und bewundere und achte ihn, was nicht heißt, daß er außerhalb der Menschheit steht.“ Er fühle sich auch erschöpft und verunsichert, im Zweifel, „ob das alles einen Sinn“ habe. „Wer weiß denn, ob Müller ein Schwein oder ein großer Dichter oder ein großes dichtendes Schwein ist.“

„Etwas überrascht“ äußerte sich auch Christoph Hein. Er habe von Müllers Stasi-Kontakten nichts gewußt. „Aber ich hatte ja wohl auch eine andere Position als Müller, ich war in der DDR ein absoluter Privatmann.“ Ähnlich zurückhaltend Stefan Heym: „Meine Kontakte zur Stasi waren passiv, ich bin beobachtet worden und nie in die Verlegenheit gekommen. Vielleicht war ich auch nicht ein so guter Kenner der Schriftstellerszene der DDR wie Heiner Müller in den Augen der Stasi.“

Für „einen der üblichen zynischen Müller-Scherze“ hielt Hermann Kant, einst mächtiger Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes und laut Stasi-Akten selbst IM (was er energisch bestreitet), die Nachricht zunächst. Nachdem er den Wortlaut des Fernsehinterviews zur Kenntnis genommen hatte, gab es bei Kant einen Einschätzungswandel: „Das ist für mich hoch erstaunlich. Er hat das offenbar bisher sehr gut verbergen können. Für die Kultur der ehemaligen DDR, wie sie sich noch bewahrt hat, ist das ein fürchterlicher Schlag. Müller war doch eine große internationale Figur, die zeigte, daß es bei uns doch auch verteufelt gute Leistungen gab.“

Berlins Kultursenator Ulrich Roloff-Momin hat sich von Müller persönlich im Anschluß an die Premiere im Berliner Ensemble am Sonntag abend „umfangreich informieren“ lassen – so jedenfalls sein Sprecher Rainer Klemke. Zur Zeit sehe Roloff-Momin „keinen Handlungsbedarf“. Müller sei nämlich in keiner dem Land Berlin nachgeordneten Einrichtung tätig. Das Berliner Ensemble wird zwar vom Senat subventioniert, offiziell aber als Privattheater geführt. Thomas Groß

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