: Mainz — neues Zentrum der Neonazi-Szene im Westen
■ Altnazi Müller reorganisiert die harte Neonazi-Szene/ Gewalt gegen Linke/ Querverbindungen zu „Republikanern“
Es „müllert“ wieder in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz: Knapp 300 Neonazis feierten im April 1992 Hitlers Geburtstag in der zur „Walhalla“ umgebauten Scheune auf dem Gelände der Gärtnerei Müller im Stadtteil Gonsenheim. Die inzwischen verbotene „Deutsche Alternative“ (DA) zelebrierte bei Kurt und Ursula Müller wiederholt ihre „Kameradschaftabende“. Und Neonazi-Größen wie Heinz Reisz, Friedhelm Busse und der Kühnen- Nachfolger Christian Worsch gaben sich seit dem vergangenen Sommer am Eingang zur Müllerschen Festung die Klinke in die Hand. Von Gonsenheim aus wurden die Neonazi-Aufmärsche am ehemaligen alliierten Kriegsgefangenenlager Bibelsheim organisiert.
Inzwischen eskaliert im Großraum Mainz die Gewalt: Rechtsradikale machen Jagd auf Linke und AusländerInnen. So wurden Antifaschisten aus dem Lokal „Joes Hütte“ mit Biergläsern beworfen, als „rote Ratten“ beschimpft und geschlagen. Neonazis traten die Scheibe einer Kebab-Bude ein, am „Brückenkopf“ zwischen Mainz und Wiesbaden wurde ein Autonomer mit den Worten: „Dich stechen wir ab!“ bedroht – und in den Wiesbadener Stadtteilen Kastel und Amöneburg kam es zu gewalttätigen Übergriffen Rechtsradikaler auf AusländerInnen. Anfang Januar schlugen die Autonomen zurück: Zwei Autos der Rechtsradikalen wurden „plattgemacht“, wie sich Mitglieder der „Solidaritätsgruppe Gunter“ im Gespräch mit der taz ausdrückten. Dabei wurden mehrere Neonazis leicht verletzt. Daß die Polizei mehr als drei Stunden nach der Tat den „Genossen Gunter“, der in eine Straßensperre gefahren war, unter dem Vorwurf des schweren Landfriedensbruches festnahm und dieser noch immer in U-Haft sitzt, hat die Szene in Mainz und Wiesbaden empört. Es sei eine „Sauerei“, sagt Mike Boller (Name geändert, die Red.) von der „Antifa-Mainz- Wiesbaden“, daß Linke wie Gunter trotz schütterer Beweislage „umgehend in den Knast einfahren“ würden, während Figuren wie Kurt Müller in aller Seelenruhe eine neue NSDAP aufbauen könnten: „Mainz ist zum rechten Zentrum geworden – mit Duldung von Polizei und Justiz.“
Immerhin hält auch der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz die Organisationsaktivitäten des 62jährigen Müller und seiner Ehefrau (59) für „bundesweit bedeutsam“. Ideologisch gesehen, so Verfassungsschutzchef Dostmann, habe der schon in den 60er Jahren im Rahmen der „Aktion Widerstand“ auffällig gewordene Müller in der Szene noch immer eine „Führungsposition“. Das sehen die Antifaschisten aus Mainz und Wiesbaden genauso. In Gonsenheim werde von den Neonazis um Müller hart daran gearbeitet, das Vermächtnis des verstorbenen „Führers“ Michael Kühnen zu erfüllen: „Die Einigung der zersplitterten Szene und den Aufbau einer NSDAP im wiedervereinigten Deutschland.“ Daß auch ausländische „Nationalsozialisten“ wie etwa der NSDAP/AO-Führer Gerry R. Lauck aus den USA und Mitglieder des Ku-Klux-Klan und der WUNS („World Union of Nacional Socialists“) bei Sonnenwendfeiern und Hitlergeburtstagspartys der Müllers auftauchen, ist für die Antifaschisten aus der Region ein Beleg für diese These. Ein anderer ist der Umstand, daß Kühnens Ex-Leibwächter Mike Ostwald (FAP und DA) in Gonsenheim Unterschlupf fand. Ohnehin würden aus der Haft entlassene Neonazis vor allem von Ursula Müller, Vorsitzende der „Hilfsorganisation für Nationale Gefangene“ (HNG), betreut und in der Gärtnerei beschäftigt. Auch dem Verfassungsschutz bereitet die Konzentration von gewaltbereiten Neonazis im Raum Mainz/Wiesbaden zunehmend Sorge: Die verbotene DA verfüge alleine in Mainz über rund dreißig Aktivisten. Dazu kämen etwa 140 „extem ausländerfeindliche“ DVU-Mitglieder, ein halbes Hundert NPDler und rund 100 „Republikaner“ – nicht gerechnet die zahlreichen Skinheads. Und längst gibt es Querverbindungen zwischen der harten neonazistischen Szene und der legalen Rechten. So tummelten sich im vergangenen September auf einer Rep-Veranstaltung in Mainz zahlreiche Mitglieder der DA. Daß der Kreisvorsitzende der „Republikaner“, Mariany, Geschichtslehrer am Mainzer Frauenlob-Gymnasium (!), Pächter der Gaststätte „Am Depot“ ist, in der sich DA- Mitglieder wiederholt zu „Kameradschaftsabenden“ trafen, ist für die Antifaschisten ein weiterer Beweis für die längst praktizierte Zusammenarbeit zwischen harter und legaler Rechtsextremistenszene. Klaus-Peter Klingelschmitt
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