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Mehr Ausländer — mehr Konflikte?

■ Multikulturdebatte theoretisch: Von Ventilen, Kulturbegriffen und Missionaren

Das Befremden durch Fremde hinterfragen, die kulturelle Differenz durch Kennenlernen überwinden — das ist die Intention einer neuen Diskussionsreihe, die Helga Trüpel, Senatorin für Kultur und Ausländerintegration zur „Multikultur“ initiiert hat. In der Vahr fand das erste Forum statt. Titel: „Mehr Ausländer — mehr Konflikte?“ Ganz „konkret“ sollte mit Experten diskutiert werden. Zum Beispiel darüber: bettelnde Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm und Kinderbettelei in der Bremer Innenstadt. Ein Thema, das in den vergangenen Wochen zu heftigen Debatten bis hin zu Verbotsforderungen und einer Gesetzesinitiative führte. Immer wieder regten sich Menschen in etlichen Leserbriefkampagnen auf, daß hier „Kinder mißbraucht“, gar „Menschenrechte“ verletzt würden.

Kinderschutz oder Verdrängung der Armut?

Die Senatorin eröffnete die Debatte mit dem Wunsch nach „gemeinsamem Nachdenken“ über die Konflikte, darüber, was eine Gesellschaft ertragen kann und will und ob und wie darüber überhaupt Konsense gefunden werden können. Helga Trüpel stellte am Beispiel der bettelnden Kinder auch die Frage, ob wirklich Kinderschutz das Motiv der Empörung gewesen sei oder nicht vielmehr der unbewußte Wunsch nach Verdrängen von Armut? Und fänden hier nicht Ängste und Schuldgefühle in der Projektion auf Fremde ein Ventil, die aus dem eigenen Fehlverhalten gegenüber Kindern resultieren? Aus der in Deutschland schon sprichwörtlichen Kinderfeindlichkeit?

Die Fragen waren konkret, umso mehr neigten die Experten dazu, ins Abstrakte zu flüchten. Psychologische Phänomene im Umgang mit dem Fremden, die weltwirtschaftlichen Ursachen von Migration und Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung führten zu streckenweise philosophischen Debatten, in denen der Begriff der „Dominanzkultur“ zwar genannt, aber keineswegs hinterfragt wurde.

Konkretes ließ sich nur mühsam festmachen. Es gab zum Beispiel, obwohl Helga Trüpel dies wiederholt anregte, keine Diskussion darüber, daß Schulklassen kaum noch Klassenfahrten machen können, weil die Eltern muslimischer Schülerinnen dies ihren Töchtern nicht gestatten. Ist derart konfliktgeladener Alltag, der nach Ratschlägen schreit, eine Überforderung von Expertenrunden?

„Es ist ein Deutschenproblem, ein Problem von uns“, führte Moderator Narciss Goebbel ein. „Die Menschen verhalten sich nicht so, weil Kultur es ihnen vorschreibt, sondern weil die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen ihnen keine andere Wahl lassen“, meinte Lutz Hoffmann, Wissenschaftler in der Lehrerausbildung in Bielefeld, das Beispiel bettelnder Kinder immerhin aufgreifend. Wie er wandte sich auch Detlef Marzi von der Beratungsstelle des Bremer Sintivereins gegen den herrschenden Kulturbegriff: Er habe die Funktion, andere Kulturen zu diskreditieren, tauche immer nur auf, um durch negative Zuschreibungen bei Ausländern Unterschiede zu benennen und argumentiere aus einer Position der Herrschaft.

Hilflosigkeit macht aggressiv.

Pastor Horst Janus, der Ausländerbeauftragte der evangelischen Kirche in Bremen, sieht Ängste und Aggressivität als einen Ausdruck der Hilflosigkeit im Umgang mit Fremden — allerdings nur in dem Moment, in dem das Fremde zu nah kommt, in dem es Probleme mit sich bringt. Janus plädierte dafür, Menschen in kleinen, überschaubaren Einheiten zusammenzubringen — damit sie sich kennenlernen können, erleben, daß die Probleme und Sorgen der Einzelnen oftmals ähnlich sind.

Thomas Pörschke, der Leiter des ASB-Flüchtlingsbüros in Bremen-Nord, brachte den Begriff „multikultureller Zwangsgemeinschaften“ ein: 450 Flüchtlinge aus 32 Nationen würden derzeit allein in der Peenemünder Straße Straße leben. Sie müssen miteinander auskommen, dieselbe Toilette, dieselbe Küche benutzen, müssen die Musik und die fremden Essens-Gerüche voneinander ertragen. „Sie erleben etwas, das Deutschen vorbehalten bleibt“, so Pörschke. Dabei haben sie keine Möglichkeit, dem zu entfliehen: Sie dürfen Bremen beispeilsweise nicht einmal verlassen, um etwa Verwandte zu besuchen.

Pörschke berichtete aber auch Positives: Daß etwa die Eltern verschiedenster Nationen über ihre Kinder etwas Verbindendes erleben, sobald diese im Kindergarten miteinander deutsch lernen. „Dann erleben sich die Eltern als gleich und entwickeln ein ungeheures Selbstbewußtsein“.

Narciss Goebbel zitierte Hans Magnus Enzensbergers „Wanderungen“: Die Abgrenzung von Fremden sei eine anthropologische Konstante. In Naturvölkern seien dazu die Rituale der Gastfreundschaft entwickelt worden. „Der Gast ist heilig, aber er darf nicht bleiben.“ Dazu Pastor Janus: „Wir müssen eine Unterstützungskultur aufbauen, damit Fremdheit positiv erfahren werden kann. Und zwar ohne die andere Kultur schlucken zu wollen.“ Birgitt Rambalski

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