: Abgeschobene Kurden: Folter am Flughafen
■ Anhörung des Ausländerausschusses zur Lage der Kurden / Frage der inländischen Fluchtalternativen zu spät behandelt
zur Lage der Kurden / Frage der inländischen Fluchtalternativen zu spät behandelt
Im Rathaus fand am Mittwoch abend erstmals eine Anhörung des Ausländerausschusses zur Situation der Kurden in der Türkei statt. Hintergrund: Hamburg schiebt regelmäßig abgelehnte Asylbewerber in die Türkei ab. Mit der Begründung, verfolgte Kurden können sich im Westen des Landes aufhalten — es gebe damit ja eine sogenannte „inländische Fluchtalternative“. Die GAL-Abgeordnete Anna Bruns hatte im November '92 in der Bürgerschaft den Antrag gestellt, einen weiteren Abschiebestopp zu verhängen. Bis in einem Anhörungsverfahren geklärt ist, wie es wirklich um die Situation der Kurden in der Westtürkei bestellt ist. Der Abschiebestopp wurde abgelehnt, die Anhörung bewilligt.
Doch der wichtigste Punkt, die Frage der Fluchtalternativen in der Türkei, kam erst am Schluß dran. Die Hamburger Anwältin Cornelia Ganten-Lange, die sich im Oktober vor Ort informiert hatte, konnte ihre Ausführungen nicht zu Ende bringen. Doch was die Abgeordneten in den fünfeinhalb Stunden zu hören bekamen, war erschreckend genug. Aus Hamburg abgeschobene Asylbewerber, so Ganten-Lange, werden in der Regel mehrere Tage am Istanbuler Flughafen Atatürk in Istanbul festgehalten, dabei komme es in vielen Fällen zu Folter oder Mißhandlung. Wenn nichts gegen die Abgeschobenen vorliege, kämen sie frei. Andernfalls würden sie in ihre Heimatorte überführt und 30 Tage in Polizeihaft genommen. Das, so Ganten-Lange, „hat in der Regel schwere Folterungen zur Folge“.
Als politisches Vergehen zähle schon der Verdacht, Mitgliedern der PKK, die einen Guerilla-Kampf gegen die Türkei führt, Lebensmittel oder Unterschlupf gegeben zu haben, berichtete Amke Dietert- Scheuerl von amnesty international. Auch sie wußte von abgeschobenen Asylbewerbern, die auf der Polizeiwache am Flughafen gefoltert wurden.
Insgesamt kamen am Mittwoch Vertreter von einem Dutzend Organisationen zu Wort, deren Statements mangels Moderation etwas allgemein ausfielen. Das Bild, das sich über die Lage der Kurden in der Türkei abzeichnete, müßte die Abgeordneten dennoch bewegen, ihre Haltung zur Kurdenfrage zu überdenken. Bis Oktober '92 wurden in der Osttürkei 890 Dörfer bombardiert, 532 Dörfer ausgelöscht und 1,5 Millionen Menschen vertrieben. Allein in den 14 Tagen, in denen eine Hamburger Delegation des Republikanischen Anwaltsvereins dort war, wurden vier Ortschaften beschossen. Die so vertriebenen Menschen haben es schwer, wieder seßhaft zu werden. Denn auch in den Großstädten Izmir, Istanbul und Ankara nimmt der türkische Nationalismus zu, gibt es teilweise eine Pogromstimmung gegen Kurden. In Izmir, so berichtete ein Journalist, verteilten Zivilpolizisten Flugblätter mit dem Aufruf „Kauft nicht bei Kurden“. In
1Alania wurde vor einer Trauerfeier für einen türkischen Soldaten über Lautsprecher dazu aufgerufen, „Rache“ zu nehmen. Zwei Jugendliche wären fast gelyncht worden.
Offen und unverhüllt auch die Repression gegen Journalisten. Im letzten Jahr wurden 14 ermordet. Der Rechtsanwalt Mustafa Ayzit aus Istanbul berichtete allein von 30 Festnahmen am 11. und 12. Februar, darunter auch Abgeordnete
1der kurdischen Oppositionspartei HEP, denen vorgeworfen wird, daß sie im Parlament Rosetten in den Farben Kurdistans getragen haben.
Anschaulich demonstriert wurde die Geisteshaltung des türkischen Staates durch den Auftritt des Abgesandten vom türkischen Konsulat, Ali Kemal Savas. Die Kurden seien unfähig, politische Gedanken in die Tat umzusetzen und freie Gedanken zu äußern, sagte er in ei-
1nem knappen Statement. Das türkische Gesetz verbiete es nun einmal, die Grundfreiheiten in der Absicht zu gebrauchen, die Einheit des Staates zu gefährden.
Unklar ist nun, was aus der Anhörung folgt. Die Ausschußangehörigen wollen erstmal beraten und bis zur Sommerpause einen Antrag ausarbeiten, sagte der Vorsitzende Uwe Voigt. Bis dahin wird weiter abgeschoben. Kaija Kutter
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