: ann heißt es "Land unter" in Hamburg?
■ Flutschutz Teil 2: Wegen Fahrwasservertiefungen und Eindeichungen steigt die Flut in Hamburg. Der erwartete Anstieg der Meeresspiegel durch die Klimaveränderung verschärft die Situation...
steigt die Flut in Hamburg. Der erwartete Anstieg der Meeresspiegel durch die Klimaveränderung verschärft die Situation. Flutschutzmaßnahmen bleiben in der Planung stecken, weil verläßliche Prognosen der Forscher fehlen.
Eine Sturmflut entwickelt sich, wenn Wind von mindestens Stärke 7 (Beaufort) lang anhaltend aus Richtungen zwischen Südwest und Nordwest weht.
Die Sturmfluten an der Nordseeküste und der Unterelbe werden seit Jahren immer häufiger und stärker, die Intensität der Stürme hat zugenommen. Als Verursacher steht vor allem die globale Klimaveränderung im Verdacht.
Aber nicht nur die Naturgewalten erhöhen das Risiko, daß Hamburg irgendwann in den Fluten versinkt, sondern auch der „Ausbau“ der Elbe. Zusätzlich zum Hochwasser bei Sturmfluten kommt am Pegel St.Pauli eine Erhöhung des Wasserstandes von 60 Zentimetern, die durch Deichbaumaßnahmen und Fahrrinnenvertiefung verursacht wird. Dies hätten Untersuchungen mit hydrodynamischen Modellen ergeben, schreibt die Baubehörde in ihrer 1992 erschienenen Broschüre „Sturmfluten und Hochwasserschutz in Hamburg“.
Aber schon der tägliche Normalfall am kanalisierten Fluß zeigt die Wirkungen der „Umbauten“. Durch die Fahrwasservertiefungen, Begradigungen, Eindeichungen und Absperrung von Nebenflüssen hat sich das Niedrigwasser gesenkt und das Hochwasser erhöht. Nach der schweren Sturmflut von 1962 wurde die Deichlinie näher an den Fluß herangeschoben. Dies führt dazu, daß das Wasser nicht mehr wie früher in die Deichvorländer und Nebenflüsse ausweichen kann. Das heißt, bei Sturmfluten fehlen seither Flächen, auf denen sich das Hochwasser „verlaufen“ kann. Und durch die Elbvertiefung auf jetzt 13,5 Meter strömen Ebbe und Flut schneller ein und aus. Der Tidenhub, das ist die Höhendifferenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser, ist am Pegel St.Pauli von 2,38 Meter (1930) auf heutige dreieinhalb Meter gestiegen. Die Gezeiten sind damit in Hamburg fast so stark wie an der Küste.
Dieses extreme Auf und Ab macht den Flutschützern Sorgen. Denn je mehr der Tidenhub ansteigt, desto stärker rütteln höhere Fluten, heftigere Wellen und eine verstärkte Erosion an den vorhandenen Bollwerken.
Und der Ausbau geht weiter. Eine weitere Vertiefung auf 15 Meter ist geplant. Das würde nur wenige Zentimeter ausmachen, lautet die Beschwichtigung. Doch weiteres Ausbaggern der Fahrrinne wird die Erosion verstärken und könnte das Faß zum Überlaufen bringen. Denn ein so komplexes System wie die Tideelbe reagiert manchmal unberechenbar auf menschliche Eingriffe.
Vor den Auswirkungen des Treibhauseffektes auf das weltweite Klima warnen Wissenschaftler immer nachdrücklicher. Beweisen läßt es sich strenggenommen heute noch nicht, aber viele Indizien sprechen dafür, daß der vom Menschen gemachte Treibhauseffekt erste Auswirkungen zeigt. Das erwärmte Ozeanwasser dehnt sich aus, der Meeresspiegel steigt, Orkane und Sturmfluten nehmen zu. Für die nächsten hundert Jahre wird der Meeresspiegel weltweit um bis zu einem Meter ansteigen, sagt die deutsche Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre voraus. Und durch den Temperaturanstieg werden aller Voraussicht nach die Stürme heftiger, so Hartmut Graßl, Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Bei einer Erwärmung des Meereswassers um nur wenige Grade könne sich die Intensität eines Sturmes um bis zu 40 Prozent erhöhen. Aber ein wissenschaftlicher Beweis über die Zunahme von Wetteranomalien sei schwierig zu führen. „Das gilt auch für die Sturmfluten an der Nordseeküste.“ Wieviel davon klimabedingt ist, läßt sich nicht in Prozentzahlen angeben.
Wie sich eine Veränderung der Großwetterlage zukünftig auf Stürme und Fluten auswirkt, „darüber wissen wir noch nichts“, betont der Hamburger Meteorologe Hans von Storch. Die Zunahme von heftigen Stürmen in den letzten zehn Jahren könnte durchaus auch auf natürliche Klimaschwankungen zurückzuführen sein. Es ließe sich daraus aber nicht unbedingt eine Prognose für die nächsten zehn Jahre ableiten. „Darauf würde ich nicht wetten, daß die Häufigkeit oder Intensität der Sturmfluten zu- oder abnimmt“, sagt von Storch, der am Max- Planck-Institut für Meteorologie an Klima-Rechenmodellen tüftelt.
Die Klimatologen sehen sich zunehmend bohrenden Fragen ausgesetzt. Allein schon aus ökonomi-
1schen Gründen wächst das Interesse an der Klimawirkungsforschung. So mußte von Storch norwegischen Ölunternehmern Rede und Antwort stehen, die wissen wollten, „ob ihre Bohrinseln demnächst alle umkippen“. Und Versicherungen interessiert es brennend, in welchen norddeutschen Gegenden ihren Klienten künftig — im Wortsinn — das Wasser bis zum Hals stehen wird. Auch die Hamburger Baubehörde hat sich schon bei ihm gemeldet und wollte innerhalb „von vier Monaten wissen, wieviele Zentimeter sie nun bei den Deichen drauflegen müssen“. Vergeblich, denn die Wissenschaftler haben auf keine Frage eine konkrete Antwort parat.
Wie sich eine weltweite Erwärmung auf Norddeutschland auswir-
1ken könnte, ist bislang weitgehend unerforscht. Alle Aussagen über das Klima stammen von globalen Modellen. Die Großrechner — weltweit gibt es zehn, einen davon in Hamburg — simulieren die mögliche Entwicklung des Weltklimas. „Wir haben bisher überhaupt keine Erkenntnisse über regionale Veränderungen“, erklärt von Storch. Der Klimaforscher plant derzeit ein Forschungsvorhaben über die Auswirkungen von Klimaveränderungen auf Sturmfluten und Extremwasserstände in der Nordsee. Doch mit Antworten ist frühestens in fünf Jahren zu rechnen.
Mit greifbaren Ergebnissen der Klimawirkungsforschung kann auch Horst Sterr nicht dienen. Er koordiniert das bundesweite Forschungsprogramm „Klimaverände-
1rung und Küste“ an der Oldenburger Universität. Finanziert wird dieses wissenschaftliche Großprojekt vom Bundesforschungsministerium und den Küstenländern. Meteorologen in Kiel, Bremen, Oldenburg und Hamburg sollen Prognosen entwickeln, wie sich ein Anstieg des Meeresspiegels und der Sturmhäufigkeit an der Waterkant auswirken kann.
Es gebe aber heute schon genügend Hinweise, daß der vor längerem geplante Hochwasserschutz bereits in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichen wird, sagt Koordinator Sterr. Wie lange die „absehbare Zeit“ dauert, ist auch noch nicht bekannt. Frühestens in ein bis zwei Jahren könne man erste Ergebnisse erwarten. Eine Planungssicherheit für Deichbauer gibt es so
1natürlich nicht mehr. Denn wie man es dreht und wendet: Werden die Deiche zu hoch gebaut, wäre das eine unnötige Ausgabe. Baut man sie aber zu niedrig, kommen uns die Auswirkungen einer Sturmflut ebenfalls teuer zu stehen. Aber „Klimaveränderungen können wir erst beweisen, wenn sie stattgefunden haben“, erklärt der Hamburger Meteorologe Christoph Krupp.
Wegen der verbleibenden Unsicherheiten kann es einen absoluten Schutz vor Sturmfluten für Hamburg nicht geben. Und hier wie überall scheuen die Behörden, stellt Obermeteorologe Graßl fest, bislang den hohen finanziellen Aufwand angesichts eines zwar wahrscheinlichen, aber noch nicht nachweisbaren Meeresspiegelanstiegs. Vera Stadie
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