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Die Mildtätige auf dem Weg zum alten Ruf

■ Der Senatskompromiß über die künftige Struktur der Hochschulmedizin sieht neben dem Erhalt der drei Klinika die Errichtung eines Gesundheitswissenschaftlichen Zentrums an der Charite vor

Berlin. Welche Stadt hat schon drei Universitätsklinika! Und es bleibt dabei, wenn die jüngste Einigung über die Hochschulmedizin Bestand hat. Immerhin, der Senat hat über den letzten der zahlreichen Kompromisse einen Beschluß gefällt. Danach wird es auch künftig drei Kliniken in Steglitz, im Wedding (Rudolf Virchow) und in Mitte (Charité) geben, die Berlins Gesundheit versorgen und gleichzeitig medizinisch forschen und lehren.

Jeweils 100 ProfessorInnen sollen den Uni-Krankenhäusern mit je 1.350 Betten zur Verfügung stehen. So steht es in einem gemeinsam von Freier und Humboldt- Universität formulierten Kompromißpapier, das der Senat vergangene Woche bestätigte.

Natürlich geht es bei der Neuordnung der Hochschulmedizin vor allem um Geld. Berlin hat keines, aber nirgendwo sonst an den Universitäten scheint so viel vonnöten wie in den medizinischen Fachbereichen. Die Hälfte des 1,3-Milliarden-Etats der Freien Universität verschlingt die Medizin in den Universitätsklinika Steglitz (UKS) und Rudolf Virchow (UKRV).

An der Humboldt-Universität weiß jeder, „daß die Charité was eigenes ist“. Obwohl sie, 1710 als Pesthaus errichtet, erst mit der Gründung der Berliner Universität ihren eigentlichen Aufschwung nahm. Bis hin zu den 4.900 Mitarbeitern, davon 150 Professoren, welche die älteste und berühmteste medizinische Bildungseinrichtung Deutschlands Mitte letzten Jahres noch zählte.

Um ein Haar wäre die Charité noch größer geworden. Eine Mega-Fakultät mit 3.000 Betten und 10.000 Angestellten, zusammengesetzt aus dem Rudolf-Virchow- Krankenhaus und der Charité. So hatte es eine Expertenkommission um den Münchener Mediziner Peter Scriba geplant.

Doch die Emissäre von Freier und Humboldt-Universität winkten ab, als sie sich im Februar zusammensetzten, um einen eigenen kostensparenden Vorschlag auszuhandeln. Die Fusion der Charité und des UKRV zu einem Fachbereich der Humboldt-Universität hätte „unabdingbar eine möglichst breite Akzeptanz durch die beiden Klinika zur Voraussetzung“. Dies war „nicht gegeben und nicht zu schaffen“, schrieben die Streitparteien in ihr Konsenspapier.

Es trägt vorsichtigerweise den Titel „Vorschläge“. Denn es sind eine Reihe von Rahmenbedingungen aufgeführt, die Grundlage für ein Gelingen darstellen, aber höchst umstritten sind. Etwa die Änderung des Kapazitätsrechts, das die Zahl der Studienanfänger reguliert.

Wissenschaftssenator Erhardt will bei seinen Länderkollegen eine Revision des Zulassungsrechts erreichen, um nur noch 600 MedizinstudentInnen jährlich in Berlin zu immatrikulieren. Tatsächlich aber werden es mehr: Mit Freude wird die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, kurz ZVS, ab dem Wintersemester heißbegehrte Studienplätze an die „Mildtätige“, die Charité, vergeben. Ab 93/94 gilt auch dort das westdeutsche Kapazitätsrecht.

Trotz der geringeren Zahl an Professoren bekommen nun auch das Uni-Klinikum Steglitz und das Rudolf Virchow eine eigene Vorklinik. Dann können sie nun, wie es die Charité seit hundert Jahren tut, eine komplette Medizinerausbildung an einem Ort veranstalten. Bisher studierten die jungen MedizinerInnen, ehe sie das dreiteilige klinische Studium in den Krankenhäusern in Steglitz und im Wedding aufnahmen, Grundlagenmedizin an der FU. Die war in Dahlem und Zehlendorf angesiedelt. Nun soll sie aufgelöst werden.

Die räumliche Verknüpfung von Vorklinik und Klinik wäre auch Grundlage für eine Reform des Medizinstudiums. Auch das sogenannte Berliner Modell hebt die Trennung von theoretisch-vorklinischer und praktischer Ausbildung in den Klinika auf. Statt multiple choices sollen problemorientierte Lerngruppen treten. Doch dem aus dem 89er Uni-Streik hervorgegangenen Reformstudiengang steht bislang noch das deutsche Approbationsrecht im Wege.

Eine echte Innovation enthält auch das Kompromißpapier von FU und HUB mit je einem Gesundheitswissenschaftlichen und Humanwissenschaftlichen Zentrum. Örtlich sollen sie der Charité zugeordnet sein. Die beiden Zentren könnten der öffentlichen Kritik begegnen, Medizin und Ärzteschaft kämpften mit viel Apparatur und einem gigantischen Kostenaufwand gegen die Krankheit, der Erfolg sei aber bescheiden. Hilflos stünden sie dagegen den in der Psyche und in der Umwelt des Menschen angelegten Krankheitsursachen gegenüber. Hinter den Haupttodesursachen Infarkt, Bronchitis, Lungenkarzinom, Leberzirrhose und Verkehrsunfall stehen, für die Schulmedizin therapeutisch und prophylaktisch unerreichbar: Streß, Über- und Fehlernährung, Rauchen, Akoholkonsum, Autofahren.

Das soll sich ändern. „Das könnte was ganz Besonderes werden“, meinte Irene Guggenmoos- Holzmann, die frühere FU-Vizepräsidentin, zu dem anvisierten Gesundheitswissenschaftlichen Zentrum. Berlin könne die bereits an einigen Universitäten in Deutschland angebotene public health mit einem stark medizinischen Schwerpunkt versehen. Die an der HUB geplante Professur für Gesundheitssytemforschung wäre eine „echte Bereicherung“. Der Schritt von der klinischen Medizin hin zur Gesundheitsvorsorge wäre getan. Wäre, denn bisher „steht das alles nur auf dem Papier“, sagt Frau Guggenmoos.

Aber gewiß ist nichts, denn es wird schon wieder verhandelt. Die 6. Berufungs- und Strukturkommission der Charité fühlt sich durch die Expertenvorschläge der Scriba-Kommission und den Universitätenkompromiß übergangen. Das hat sich der Wissenschaftssenator selbst zuzuschreiben. Er treibt eine Politik der Expertenkommissionen, bei der er sich stets vorbehält, „das auch anders zu machen“. Nun muß er bei den Experten um Verständnis werben. Christian Füller

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