Wand und Boden: Der Journalismus im Kunstwerk
■ Kunst in Berlin jetzt: Fotoarbeiten von Else Thalemann, Judah Ein-Mor, Brigitte Maria Mayer und Torsten Hattenkerl
„Es ging auf den Frühling 1928 zu. Die Stadt war nach der Aussperrung der Metallarbeiter ruhig. Das Industriegebiet hieß jetzt „Gigant im Westen“, und ein vierdimensionaler Schornstein, den der Kameramann von unten, auf dem Rücken liegend, photographiert hatte, war seine Schutzmarke“. Die Polemik Erik Regers in seinem Roman „Union der festen Hand“ galt der Expedition ins Landesinnere, zur Schwerindustrie an Rhein und Ruhr, dem unumgänglichen Zielpunkt aller neusachlichen Reporter und Fotografen. Sie galt auch dem im Herbst des gleichen Jahres vom S. Fischer Verlag mit der Reviererkundung beauftragten Schriftsteller Heinrich Hauser. Dessen Reportageband „Schwarzes Revier“ war zeitgemäß als Bild-Text-Reportage angelegt, wobei er laut Impressum auch als Bildautor agierte. Dem war aber nicht ganz so, wie die Ausstellung „Else Thalemann, Industrie- und Pflanzenphotographie der zwanziger und dreißiger Jahre“, im Verborgenen Museum, zeigt. Die Ruhrgebietsfotografien der Berlinerin Else Thalemann-Moosdorf, rund 150 Aufnahmen – aus dem Nachlaß des Auriga Folkwang Verlagsarchivs Ernst Fuhrmann an einen Berliner Sammler und Galeristen verkauft – belegen, daß rund ein Drittel der Fotos im „Schwarzen Revier“ von Thalemann stammen müssen. Die Kamerafrau legte sich übrigens keineswegs auf den Rücken, um die Industriearchitektur zu monumentalisieren, sondern wählte einen zwar tiefliegenden, aber durchgängig distanzierten Kamerastandpunkt, der den Ausschnitt keineswegs so verknappt, daß das eigenmächtige Lesen des Betrachters lahmgelegt wird. Aufschlußreich sind hier auch ihre Aufnahmen des Eiffelturms (1930), dem Fotomotiv moderner Ingenieurskunst. Durchaus zeitgemäß von der Eisen- und Stahlkonstruktion fasziniert, ist ihr das geometrisch-starre, aufstrebende Liniengefüge des Turms nur Hintergrund für das Geflecht der elektrischen Leitungen, die es teilweise überdecken. Das Resultat sind vier außerordentliche Fotos eines ,weichen', zerfließenden und doch typischen Eiffelturms. Auch im Kohlenpott gelingen ihr solch abwegige Bilder. Etwa die Aufnahme von Kohlenhalden, die aussehen wie beschneites Hochgebirge und dennoch durchweg als Kohlehalden erkenntlich sind. Gleichgewichtig zum Bild des „Schwarzen Reviers“ zugeordnete, ausführliche Bildunterschriften machen die fotografische Wahrnehmung zur Dokumentation.
Bis 27. Juni, Schlüterstraße 70, Do, Fr 15–19 Uhr, Sa, So 12–16 Uhr.
Läßt man die Bildunterschriften weg, dann wird aus Journalismus Kunst, zumindest Fotokunst. So einfach geht das, man weiß nur nicht zu welchem Behufe. „Denkmale“ von Judah Ein-Mor, derzeit im Deutschen Historischen Museum zu sehen, zeigt drei Beispiele aktueller ost-/westdeutscher Denkmalspflege: den Abbau des Lenindenkmals in Berlin, die Ankunft des Kaiser-Wilhelm- Denkmals in Koblenz und die ehemaligen Büroräume des Chefs der Staatssicherheit, die zukünftig zu Museumswürde gelangen. So selbsterklärend die sechs Farbfotografien des erstaunlichen Büros von Erich Mielke sind, so wenig sind es die je vier S/W-Fotografien zum Koblenzer Denkmalsauf- und Berliner Denkmalsabbau. Wann etwa stand der eingerüstete und umzäunte Lenin noch unbekränzt da? Und wann wurde der Zaun mit Blumen geschmückt, Plakaten behängt, bewacht von strammen Jungs, die die Proletarierfaust recken? Und wann endete Lenins abgeschnittener Kopf, wo? Die Sache ist vertrackt, die Denkmale interessieren mehr als die fotografischen Denkmale, die der junge israelische Fotograf ihnen abgewinnt.
Bis 8. Juni, Zeughaus, Unter den Linden 2, Do–Di 10–18 Uhr, Mittwoch geschlossen.
Die Überführung von Journalismus in Kunst als die Überführung des Journalismus im Kunstwerk, ein solcherart absichtsvolles Vorhaben scheint der gangbarere Weg, wie ihn Brigitte Maria Mayer andeutet. Sie zeigt unter dem Titel „Inszenierte Dokumentation“ in der Galerie Loulou Lasard sechs großformatige Fotografien, die berühmten Gemälden nachgestellt sind. Hehre Motive – in doppelten Sinne – ersetzt sie durch sehr aktuelle, subkulturelle Probleme und Protagonisten. Jacques Louis Davids „Der Schwur der Horatier“ ist Vorbild ihrer Arbeit „Skinheads“. Sein „Marat“ wird ihr Drogentoter „Patria o Muerte“, und „Der Tod des Sokrates“ ist die Folge einer HIV-Infektion. Die Erniedrigung Davids zum Fotoreporter der Revolution ist kühn, die fotografische Verdoppelung seiner historistischen Montagen in militant republikanischer Pädagogik, ist aufschlußreich-konzeptuell hinsichtlich formaler Kunstmittel, ihrer Bedingungen und Wirkungen. Die konkrete Ästhetisierung gegenwärtiger massenmedialer Themen wie Skins, Aids, Drogen und Soldaten in der sublimen Form des Tafelbilds jedoch hält diesem kritischen Ansatz nicht wirklich stand. Die Inszenierung der Personengruppen in weichem, warmen Kunstlicht und abgedunkeltem Hintergrund wirkt eher pompös denn pathetisch-politisch. Der Übersetzung von Caravaggio und Mantegna in Fotografie fehlt die formale Widerborstigkeit, die die Einbildungskraft erneut bewegen könnte, und sei es durch die Widerborstigkeit absoluter Glätte.
Bis 2. Juli, Crellestraße 42a, Di–Fr 15–19 Uhr, Sa 11–14 Uhr.
Ein Hauch scheinbarer Überbelichtung, der seine fast schattenlosen, blaßfarbenen Feld-, Wald- und Wiesen-Fotografien flach und raumlos erscheinen läßt, gibt Torsten Hattenkerls Fotoarbeiten die höchst eigenartige, bemerkenswerte Bildsprache. Es ist eine der Paradoxie. Die Fotografien des Schülers von Gottfried Jäger sind mit der Plattenkamera, Format 18 x 24, gemacht und zeichnen sich durch ein entsprechend hohes Auflösungsvermögen aus. So zweidimensional, abstrakt, allein auf die Bildfläche gespannt die Ansichten einerseits wirken, so heftig ziehen sie den Blick doch in die Tiefe eines Detailreichtums, der schier unerschöpflich scheint. „Johanniskreuz“ etwa zeigt ein abgeholztes Waldstück von einem relativ tief liegenden Betrachterstandort aus. Eine Restbaumgruppe markiert den linken Bildhorizont, zwei vereinzelte Bäume lassen ihn nach rechts weiterlaufen. Die Bäume und der farblose Himmel scheinen nur Struktur geben zu wollen; fotografisch, wirklichkeitsabbildend, raumgebend ist dagegen das zwei Drittel des Bildes einnehmende, abgeholzte Erdstück, auf dem man jeden Grashalm und jedes Laubblatt zu erkennen und verorten meint. „FielStand“, unter welchem Titel die Ausstellung des Kulturamts Treptow im studio bildende kunst läuft, treibt „fotografische Treue“ im Sinne fast klassischer daguerreotypischer Aufzeichnungsgenauigkeit in die minimalistische Flächigkeit.
Bis 28. Mai, Baumschulenstraße 78, Mo–Fr 13–18 Uhr, So 14–18 Uhr.
Brigitte Werneburg
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