: In and out of Africa
■ „Tschangruati“ mit Gerhard Polt in München
„Das Stück stellt eine hochgradige Beleidigung dar“, erklärte CSU-Generalsekretär Erwin Huber der bayerischen Öffentlichkeit, „es ist ein Schlag ins Gesicht von Millionen CSU-Wählern, die immer wieder der Partei das Vertrauen geben“. Das ist wohl wahr.
Bayern ist der deutsche Staat, der Afrika am nächsten liegt: nicht nur geographisch. Da gab es schon immer ein Menge Parallelen zwischen der Stammtischvorstellung von einem afrikanischen Kleinstaat und dem bayerischen Territorium – in der Realität. Von der Amigo-Wirtschaft bis zu Streibls Zirbelholzstüberl in der neuen Staatskanzlei in München. Gerhard Polt und die Biermösl Blosn haben in ihrem neuen Stück „Tschangruati“ diese Beziehungen gründlich analysiert – im Auge des Orkans: in den Münchener Kammerspielen.
Tschangruati ist ein afrikanischer Kleinstaat. Die Diktatoren kommen und gehen, was bleibt ist die deutsche Botschaft, mit einem alten Botschafter, dem alles wurscht ist (Otto Grünmandl), einer Sekretärin (Gisela Schneeberger) und diversen Randfiguren, die alle aus dem Lande Bayern kamen, um die Beziehungen zu Tschangruati zu verbessern: Da ist Gustl Fasnacht, der das Land entwickeln will, indem er eine Sondermülldeponie einrichtet, Dr. Leinweber von der CSU-nahen Hanns- Seidel-Stiftung, der den „Bimbos“ die bayerische „democracy“ zwischen Plato, Cicero, Ochsensepp und ADAC nahebringen will, und immer wieder Gerhart Polt, der sie alle in wechselnden Masken brillant darstellt.
Die Geschichte wird durch neue Stücke der Biermösl Blosn eingerahmt, die mit einer genialen Mischung aus bayerischer Volksmusik und satirischen Texten freistaatliche Verhältnisse und Sprache gleichermaßen aufs Korn nehmen. Auch wenn manche Szenen den letzten Biß vermissen lassen, gibt es Momente in den Soloszenen von Polt oder bei manchen Gstanzln der Biermösl Blosn, die treffen den Kern bayerischer Seelenzustände.
Da, wo das politische Kabarett im Wettlauf um die beste Pointe beständig von der schnöden Wirklichkeit überholt wird, tut es gut daran, ins Klassisch-Absurde abzudriften: Polt weiß das und die Biermösl Blosn auch. Und so umtanzt man in den Kammerspielen munter ein afrikanisches Zelt aus bayrischen Alpenhörnen: „Samma die Mehrern, samma die Schwerern.“
Sogar CSU-Generalsekretär Huber hat die traditionell-absurde Tiefe der Botschaft auf seine Weise beantwortet: „Die CSU reagiert da frei nach Karl Valentin: Das ignorieren wir nicht einmal.“ Nichts ist bayerischer als das Kabarett von Gerhard Polt: liebevoll ist die Verzweiflung darüber, daß ois is, wias is, beharrlich die Hoffnung, daß irgendwann mal die Rechnung für die da oben kommt. Früher hat man bloß genauer gewußt, wer sie aufmacht. Aber da war auch noch der Schnee weißer. Hans Peter Kistner
„Tschangruati“ an den Münchener Kammerspielen mit Gisela Schneeberger, den Biermösl Blosn, Otto Grünmandl, Gerhard Polt. Regie: Hanns Christian Müller. Bühne, Kostüme: Alexander Sascha Groß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen