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SPD dreht durch: Panik vor Rot-Grün

■ Ex-SPD-Fraktionschef Paul Busse beschimpft ÖTV - wegen Sympathie für Rot-Grün / ÖTV-Chef soll "der Mund gestopft werden"

beschimpft ÖTV — wegen Sympathie für Rot-Grün / ÖTV-Chef soll „der Mund gestopft werden“

„Ich empfehle dem ÖTV-Bezirksvorstand, dem Kollegen Fritsch den Mund zu stopfen.“ SPD-Multifunktionär Paul Busse wandte sich am 28. Mai mit einem in Inhalt und Form schier unglaublichen Schreiben an den Hamburger ÖTV-Bezirksvorstand. Anlaß des erregten Papiers ist der ungewohnte Kurs, den ÖTV-Chef Rolf Fritsch im Einklang mit seiner Gewerkschaft eingeschlagen hat. Die ÖTV hält auch im Wahlkampf nicht mit ihrer Senats-Kritik hinter dem Berg und zerbricht sich schon mal öffentlich den Kopf, ob Rot-Grün vielleicht im Interesse der ÖTV- Mitglieder sein könnte.

Damit hat die ÖTV offenkundig gegen ein althergebrachtes Filztabu verstoßen. Anders sind die schriftlichen Entgleisungen des Ex-SPD- Fraktionschef Busse, ÖTV-Mitglied und heute (Filz sei dank?) Geschäftsführer der Hamburg Messe und Congress GmbH, jedenfalls kaum zu verstehen. Busse: „Die Kritik des Kollegen Fritsch an der SPD, sie habe viele Probleme nicht angepackt, ist schlicht Unfug. Wenn der Kollege Fritsch die Hafenstraße wie die GAL als buntes Völkchen verharmlost und die auch gegen Gewerkschaftskollegen der Polizei verübten zahlreichen schweren Straftaten der Hafenstraßenbewohner herunterspielt, frage ich mich, ob denn das auch die Auffassung des ÖTV-Bezirksvorstandes ist. Wenn die Frage verneint werden sollte, empfehle ich dem ÖTV- Bezirksvorstand, im Interesse einer innergewerkschaftlichen Demokratie dem Kollegen Fritsch den Mund zu stopfen.“

Busse weiter: „Hat der Vorstand sich damit befaßt, ob er z.B eine SPD-Regierung, CDU-Regierung oder eine SPD-GAL-Koalition vorzieht? Mit welcher Begründung? Eine Gewerkschaft überhebt sich, wenn sie meint, für die stärkste Fraktion Koalitionsaussagen machen zu müssen. Sie überhebt sich auch, wenn sie sich als Wahlprophet betätigt, ob eine Partei die absolute Mehrheit erreichen kann (Fritsch: ‘undenkbar') oder nicht.“

In der Sitzung des 50köpfigen ÖTV-Bezirksvorstandes löste Busses Schreiben Kopfschütteln und Entsetzen aus. „Die SPD“, so ein Teilnehmer zur taz, „ist offensichtlich dabei, völlig die Nerven zu verlieren.“ Der Versuch von Busse, per Brief in die 70 000 Mitglieder starke Großgewerkschaft hineinzuregieren, hat die Position von Rolf Fritsch nachhaltig gestärkt, wie mehrere Vorständler der taz bestätigten: „Die SPD tickt nicht richtig, wenn sie glaubt, so mit der ÖTV umspringen zu können.“

Busses Brief ist nicht die Aktion eines verwirrten Einzelkämpfers. Er steht für die Strategie der Wandsbek-Connection um Voscherau, Elste und Weiland, die mit einem Wahlkampf gegen Rot-Grün die abolsute Mehrheit schaffen wollen, obwohl Voscherau öffentlich beteuert, dies käme „einem Sechser im Lotto plus Zusatzzahl gleich.“ Voscherau drohte dennoch: „Wehe, es finden Gespräche von führenden Funktionsträgern der SPD mit Grünen hinter meinem Rücken statt! Das wäre Illoyalität. Das hätte harte Konsequenzen für die betreffenden Personen.“ Busse scheint da jedoch etwas verwechselt zu haben. Rolf Fritsch wurde nicht von der SPD sondern von den ÖTV- Mitgliedern gewählt. Die ÖTV- Spitze zieht sich am 18. Juni zu einer Klausurtagung über ihre „Wahlprüfsteine“ zurück. Paul Busse darf schon heute auf das Ergebnis gespannt sein. Florian Marten

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