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Urwahl bei Bier und Buletten

■ Nach dem Tag des Orstvereins haben die GenossInnen Lust auf Mitbestimmung in der Landespolitik bekommen

Lust auf Mitbestimmung: Bei der UrwahlFoto: Trstan Vankann

Luise Ukena (86) hat für Heidi gestimmt. „Ich bin eine Frau, also wähle ich auch eine Frau“, sagt sie und holt sich noch ein Stück Butterkuchen. Mit 14 trat Luise Ukena in die SPD ein und glaubt auch heute noch an die SPD, da hat sie schon ganz andere Tiefs miterlebt. Noch Fragen? Die Genossin strebt an die Kaffeetafel im Nachbarschaftshaus Ohlenhof zurück.

„Der Tag der Ortsvereine“ gestern war ein großer Tag für die fast 11.000 Bremer SPD-Mitglieder; nicht nur, weil sie erst

hier bitte

das Wahlfoto

mals über den Parteivorsitz mitentscheiden durften, sondern auch, weil man mit all jenen Parteimitgliedern schnacken konnte, die sich auf den monatlichen Ortsvereins-Sitzungen nur selten sehen lassen.

Nur einige kleine Ortsvereine, wie etwa der Stromer, wählten per Brief oder organisierten ein von Haus zu Haus fahrendes Wahlbüro so wie in Hasenbüren. Alle anderen ließen sich die Gelegenheit zum Frühschoppen oder Grillnachmittag nicht ent

gehen: Die GenossInnen aus Huckelriede beispielsweise hatten die Wahlurne auf dem Spielplatz aufgestellt, der zweitkleinste Ortsverein (Innenstadt) tratschte bei Bier, Hering und Sauren Gurken im „Kaiser Friedrich“ im Schnoor.

Dort gab es zwar keine Wahlkabine (man hielt eben die Hand vor die Wahlliste), dafür saßen die beiden Wahlleiter vorbildlich aufrecht und unalkoholisiert hinter ihrer selbstgebastelten Karton-Urne. Stolz vermeldeten sie gegen Mittag, also kurz vor Ablauf „ihrer“ Wahlzeit, eine Beteiligung von über 40 Prozent. „Wir sind ja aber auch ein besonderer Ortsverein, wir haben als einzige in den vergangenen Monaten Mitgliederzulauf“, erklärt Leander Mondre: Von 64 stieg die Zahl auf 71.

„Heidemarie ist so schon in Ordnung, aber ob sie stark genug ist“, wurde fachgesimpelt. Der Mensch wächst mit seiner Aufgabe, wandte eine Frau ein. „Ja, schon“, sagt der Mann da, „aber wenn ich an unsere Evi denke, wie die damals, als es um die Jola ging, weinend aus einer Versammlung lief — vielleicht sind Frauen halt doch zu weich“, sagts und saugt an seiner Zigarre.

Ein Ortsverein wurde gestern geradezu heimgesucht von Prominenz: Ganz unerwartet schaute bei den GröpelingerInnen mittags Bürgermeister Klaus Wedemeier herein, der sich wegen der Entcheidung für das Wohnschiff im Kohlenhafen einiges anhören mußte. Balsam für die wunde Seele der Gröpelinger GenossInnen war dann der Auftritt Hans Koschnicks. Er geißelte die Entscheidung für das Wohnschiff, aber deswegen den ganzen Krempel hinschmeißen wie mehrere Beiräte?

„Wenn die Mitgliederbefragung Erfolg hat, dann wird sich auch noch so manche Landespartei wundern“ — damit sprach Koschnick den GenossInnen aus dem Herzen. „Genau“, kam es von allen Seiten, dann kriegt Gröpelingen mit seinen Tausenden von SPD-WählerInnen vielleicht auch mal so viel Abgeordnete in die Bürgeschaftswahl wie Schwachhausen. Diese Kränkung sitzt noch tief.

Auch die Innenstadt-GenossInnen möchten öfters mitbestimmen, gern auch in Bremer Angelegenheiten: über die Ampel zum Beispiel oder die Hemelinger Marsch. Vor allem soll die SPD nicht so rumeiern, sondern endlich mal was entscheiden, so die einhellige Meinung im „Kaiser Friedrich“. „Jagt die Leute aus dem Tempel, das denken doch hier alle“, sagt die Ortsvereins-Vorsitzende Brigitte Dreyer. Christine Holch

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