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Somnamboulevard – Das Melophon Von Micky Remann

Das Melophon war, was leider nur wenigen Völkerkundlern aufgefallen ist, in Melanesien das gebräuchlichste Gerät zur drahtlosen Geräuschübermittlung. Es funktionierte so, daß die Eingeborenen in den Urwald ausschwärmten, um Melonen zu suchen. Wassermelonen, um genau zu sein. Wurden sie fündig, schnitten sie die Frucht in zwei Teile, löffelten sie leer und stülpten sich dann die zwei hohlen Halbkugeln – manchmal ist auch die Bezeichnung halbe Hohlkugel gebräuchlich – rechts und links über die Ohren. Da blieb es dann nicht lange stumm. Im Gegenteil, die Melanesier hörten im Melophon nämlich nicht etwa nichts, sondern schon sehr bald etwas. Anfangs war es nur ein Rauschen, später kamen Stimmen hinzu, singende und sagende, was sich oft zu regelrechten Symphonien auswuchs, die in ihrer Muttersprache allerdings Melophonien hießen.

Und während sie entspannt im Urwald lagen, wo die Temperaturen wünschenswert waren und die Orchideen nach Brausepulver schmeckten und wo die Papageien krächzten – was die Melanesier aber nicht mitbekamen, da sie ja das Melophon über den Ohren hatten –, konnte es sein, daß sie dabei eine drahtlose Geschichte hörten.

Zum Beispiel von jenem Bauern, dessen ganzer Stolz seine herrlich blütenweiße Hauswand war. Alle anderen Bauern in seinem Dorf hatten sich nämlich die Wände von einheimischen Malern verpinseln lassen, mit schönen oder kitschigen, oft auch mit öbszönen oder Tutti-Frutti-Motiven, aber egal, Hauptsache, die Wand war bunt. Nun, dieser eine Bauer beließ die Außenwand weiß, schneeweiß und wurde deshalb im Volksmund auch „Bauer Tipp-Ex“ genannt. Der aber verbrachte Stund um Stund vor seinem Haus und besah die weiße Wand und nichts als sie, und das mit der großen Zufriedenheit.

„Da ist doch gar nichts zu sehen!“ sagten die Nachbarn. „Für euch nicht, für mich schon“, entgegnete er, obwohl das kein Schwein verstand und die Bauern schon gar nicht. „Ich sehe eben jeden Tag ein neues Bild auf der Wand. Nicht wie bei euch: ein Bild, ein Hirsch, ein Förster, und die röhren um die Wette, ob Frühling, Sommer, Herbst, ob Winter, immer in denselben Klamotten, das muß doch unbequem sein für den Förster, für den Hirsch, wie auch für die Gemäldebetrachter, nein, auf meiner weißen Wand ist immer etwas anderes los, nie dasselbe. Jetzt zum Beispiel seht ihr dort, wenn ihr hinschaut, den Bruder des Försters. Der war, wie ihr alle wißt, Missionar“, erklärte der Bauer den sich die Augen reibenden Zuhörern. „Sein erster Bekehrungsversuch führte ihn nach Melanesien, wo er herausfand, daß die Leute gern in den Urwald gingen, sich zwei Melonenhälften über die Ohren stülpten, um dann orchideenhaft den Tag zu verdösen. Der Missionar war natürlch progressiv, setzte sich auch ein Melophon auf, hörte aber nichts. Darauf die Melanesier. „Komisch, wir hören was.“

„Was denn?“ fragte der Missionar. „Die Geschichte eines Försters, der einem Maler Modell stand. Der hatte zwar weder Pinsel noch Farbe, dafür aber eine wunderschöne Wand, so leer und weiß wie die Zeitung, wenn kein Funken Druckerschwärze drauf ist.“

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