piwik no script img

Die Angst des Ministers vor den Richtern

Rühe fürchtet „verheerende Folgen“, wenn Soldaten aus Somalia nach Hause müssen / Schäuble verhinderte einen Kompromiß mit der SPD zu „out-of-area“-Einsätzen  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Angst? Das kennen die deutschen Soldaten in Somalia nicht. In Belet Huen sei alles ruhig, referierte Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) gestern vor dem Verteidigungsausschuß ein Telefongespräch, das er am frühen Morgen mit dem deutschen Kommando geführt habe. „Sie können überhaupt nicht verstehen“, zitierte Rühe die Soldaten, „daß ihnen in Deutschland ihre Lagebeurteilung nicht abgenommen wird.“

Ob Rühe nur mit dem Kommandeur, oder auch mit einfachen Soldaten geplaudert hatte, verriet er den Abgeordneten freilich trotz deren Nachfrage nicht. Und er wollte nach der Ausschußsitzung auch nicht ausschließen, daß sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bei den Zweiflern einreihen könnte. Die Entscheidung sei „offen“, räumte er nach der Ausschußsitzung ein.

Bei den Abgeordneten der SPD-Opposition hatte er die Zweifel an der Somalia-Mission nicht ausräumen können. „Völlig neu“ erschien etwa dem SPD-Abgeordneten Manfred Opel Rühes Enthüllung, in nur 25 bis 30 Kilometer Entfernung von dem deutschen Lager befänden sich Waffenlager somalischer Milizen, deren Vernichtung erst noch anstünde. Rühe habe zwar behauptet, diese Waffenlager seien bereits in der Hand der UNO-Soldaten. Doch das will Opel nun erst einmal nachprüfen.

FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms nahm gestern eine Volksweisheit zu Hilfe: „Vor Gericht und auf hoher See sind Sie immer in Gottes Hand.“ Gleichzeitig sickerte in Bonn durch, welche Anstrengungen Rühe und zwei Kabinettskollegen, FDP-Außenminister Klaus Kinkel und CDU- Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, noch am Montag unternommen hatten, um die Angelegenheit ohne göttlichen Beistand zu regeln. In einem streng vertraulichen Gespräch mit SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose boten sie gleich zwei verschiedene Kompromißmöglichkeiten an, um mit der SPD doch noch zu einer einvernehmlichen Grundgesetzänderung zu kommen.

Variante eins: Die Koalition verzichtet auf den Wunsch nach out-of-area-Einsätzen, die nicht vom UNO-Sicherheitsrat abgesegnet sind. An von der UNO genehmigten Kampfeinsätzen nimmt die Bundeswehr außerdem nur dann teil, wenn der Bundestag zuvor mit Zwei-Drittel-Mehrheit zugestimmt hat. Variante zwei: Im Grundgesetz werden keine konkreten Einsatzbeispiele genannt. Stattdessen werden alle Bundeswehreinsätze außerhalb des Nato- Auftrages an eine Zwei-Drittel- Mehrheit gebunden.

Beides ging zwar deutlich über die Beschlußlage der SPD hinaus. Dennoch, so wird berichtet, war SPD-Fraktionschef Klose nicht abgeneigt. Daß die Einigung dann doch nicht zustande kam, lag an einem anderen: CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble lehnte die Kompromißvorschläge kategorisch ab, als Rühe und Bohl nach dem Gespräch bei ihm anklopften. Die SPD zog darauf ihrerseits die Konsequenz und beschloß, in Karlsruhe einen Eilantrag auf Stopp der Somalia-Mission einzureichen.

Seitdem ist die Tür zugeschlagen. Nur die FDP-Politiker Kinkel und Solms singen immer noch das Lied vom Kompromiß. „Wir tun alles, um die beiden großen Parteien an einen Tisch zu bringen“, versicherte Solms gestern und nannte öffentlich, auf Bundeswehreinsätze ohne UNO-Auftrag „zu verzichten“. Freilich sei dieses Angebot nicht als Angebot zu verstehen, sondern nur als „Überlegung“.

Seit die Koalitionspolitiker mit ihren Verhandlungsversuchen gescheitert sind, versuchen sie es mit Beschwörungen. Die außenpolitischen Folgen wären für Deutschland „verheerend“, wenn die Bundeswehrsoldaten aus Belet Huen zurückbeordert werden müßten, deklamierte gestern Verteidigungsminister Rühe. Die Operation „UNOSOM II“ wäre in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt, weil die Weltorganisation innerhalb der nächsten drei bis vier Monate vermutlich keinen gleichwertigen Ersatz besorgen könne.

„Ein Popanz“ werde von Rühe aufgebaut, schimpfte gestern SPD- Mann Opel. Und warum, so fragen die Sozialdemokraten, habe die Bundesregierung die deutschen Soldaten überhaupt losgeschickt, ohne sich vorher um eine verfassungsrechtliche Absicherung zu bemühen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen