: Raum für die Kunst
Das Ende der Berliner Kunsthalle ist beschlossen. Ein neuer Ausstellungsraum muß her, meint ■ Friedrich Meschede
„Stell Dir vor, es ist Kunst, und keiner sieht hin“, dieses leicht abgewandelte Bonmot könnte über der Bilanz der Staatlichen Kunsthalle Berlin, der mit dem Regenbogen im Briefkopf, stehen. Nach dem Sparkonzept des Berliner Senats soll sie, gemeinsam mit drei staatlichen Bühnen, zum 1. Januar 1994 geschlossen werden. Das ist nicht sofort, wie im Fall des Schiller Theaters, wo die Nachricht wie eine Bombe einschlug, deshalb bleibt Zeit zum protestieren. Und die Staatliche Kunsthalle traf es nicht überraschend, denn die hohen Mieten an dieser begehrten Innenstadtlage schürten schon länger in der Szene das Gerücht, daß es nicht mehr lange weitergeht. Vielleicht kam der neue Mietpreis ganz gelegen — Protestnoten sind sehr verhalten. Die spektakulären Großausstellungen fanden seit zehn Jahren im Gropiusbau statt und wurden von einer privaten Gesellschaft inszeniert, die es verstand, immer ein großes Los zu ziehen. Derzeit steht die bildende Kunst noch im Windschatten der darstellenden Kunst, die Widerstand zeigt und Öffentlichkeit herstellt. Dies liegt auch im Medium begründet, denn es ist einfacher, großes Theater mit dem Theater zu machen. August Everding, der medienbewußte Sprecher aller Bühnen Deutschlands, erhält Sendezeit zu diesem Thema in den „Tagesthemen“ und trifft sofort ins Zentrum der Verwundbarkeit Berlins: „Und diese Stadt will Olympia!“
Wer könnte für eine Kunsthalle Einspruch erheben? Die Standesvertretung der Kunsthistoriker schweigt. Keine Solidarität in der bildenden Kunst in Berlin und keine Solidarität mit der Kunsthalle von außerhalb. Alle warten ab, weil es ja nur besser werden kann. Berlin braucht aber eine Kunsthalle, und dazu braucht es Berliner, die eine Kunsthalle wollen.
Im deutschsprachigen Raum sind Kunsthallen Vermittler zeitgenössischer Kunst, die noch nicht ihre Position für einen Platz im Museum behauptet hat, aber schon in der Lage ist, den kleinen Rahmen des Kunstmarktes zu überschreiten. Dies war die Idee der Kunsthallen, die teilweise im 19. Jahrhundert auf Privatinitiative ortsansässiger Kunstvereine ins Leben gerufen wurden. Diese bürgerlichen Vereine, die sich per Satzung „dem gemeinnützigen Zwecke auf dem Gebiet der Volksbildung und Erziehung, der Förderung der bildenden Kunst“ gewidmet haben, waren oftmals die Vorläufer öffentlicher Museen. Nachdem man die Verantwortung des „Sammelns und Bewahrens“ auf die Kommunen übertragen hatte, war Idealismus freigesetzt, zeitgenössische Kunst einer interessierten Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen. In der Schweiz funktionieren diese Privatinitiativen noch heute, wie die Kunsthallen von Bern und Basel beweisen. In Deutschland haben sich Kunstinstitute entwickelt, die anhand des Namens nicht mehr zu erkennen geben, wo die Grenzen zwischen Museum und Wechselausstellungshaus verlaufen. Das Ausland beneidet uns um diese Einrichtungen, weil sie aus der Sicht aller Nachbarstaaten gut funktionieren, die Kluft zwischen Galerie und Museum, zwischen dem Anspruch des Zeitgemäßen, Zeitbedingten und Bleibenden großer Kunst sinnvoll zu überbrücken. Das Modell wird bereits übernommen, und so gründete man die Kunsthalle Rotterdam vor zwei Jahren, ebenso ist eine „Kunsthalle New York“ in Gründung, die bewußt die deutschsprachige Bezeichnung pflegt, um eine Typologie der verschiedenen Ausstellungsinstitute kenntlich zu machen. All diese Gründungen basieren auf Privatinitiative. Es ist sicherlich schwer für Berlin, als neue Hauptstadt mit den anderen deutschen Städten verglichen zu werden, aber unser föderalistisches Staatsprinzip gibt jeder engagierten Privatinitiative die Chance, sich mit der Hauptstadt zu vergleichen und messen zu können. In Frankreich ist dies nicht so, trotz der Einrichtung von Regionalfonds. Spanien entwickelte nach der Franco-Zeit an verschiedenen Orten mit beneidenswerter Großzügigkeit und Gespür für internationale Verbindungen vorbildliche Ausstellungshäuser.
In den vergangenen Jahren hat sich die Politik im ganzen Land sichtbar zur bildenden Kunst bekannt. Es kann aber nicht sein, daß man bildende Kunst jahrelang als kostengünstigen Standortfaktor argumentativ zur Wirtschaftsförderung vereinnahmt, um sie jetzt, wo es nur noch um die blanke Wirtschaftlichkeit geht, ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der ökonomischen Effektivität zu behandeln.
Ausstellungen sind immer noch billiger als gleichwertige Inszenierungen der darstellenden Kunst. Trotzdem ist es schwer, eine Lobby zu schaffen. Theaterboykott, das bringt Schlagzeilen und wirkt, Ausstellungsboykott provoziert nicht mal ein müdes Achselzucken bei den Verantwortlichen, eher klammheimliche Sparfreude derer, die schon lange darauf gewartet haben, weil die Kunst ihnen schon lange nichts mehr sagte. Aber die Verantwortung dafür liegt beim Betrachter, nicht bei den Künstlern. Diese Individualisten ohne Festanstellung benötigen doch nur vier Wände und ein Oberlicht, ein Gehäuse, das öffentlich zugänglich ist und für jedermann leicht erreichbar, in einem zentralen Ort, um dort „Kultur für alle“ (Hilmar Hoffmann) zu zeigen.
Berlin braucht eine neue Kunsthalle. Die Voraussetzungen dafür sind bald, nach der Schließung derjenigen mit dem Regenbogen, besser denn je. Das verspielte Signet taugt gerade noch als hoffnungsvolles Zeichen nach einem reinigenden Gewitter. Die schwüle Luft ist gewichen, der Regenbogen löst sich auf, man darf wieder frei atmen. Ein Neuanfang ist zwingend, die Konzeption einfach: ein neuer Raum mit klarer Struktur und geeigneten Proportionen, die die Künstler nicht überfordern. Das Programm kommt dann schon mit einem anderen künstlerischen Leiter, der die Initiative ergreift und junge, internationale Kunst zeigt.
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