: PPNV statt ÖPNV
■ Nach den Attacken gegen Eugen Wagners Fahrradkonzept wütet die Handelskammer nun gegen den HVV
Mit ihr ist kein Verkehr zu machen. Nachdem die Hamburger Handelskammer das fahrradfreundliche Radwegekonzept der Baubehörde als schädlich für den Wirtschaftsverkehr abklassifiziert hat, holt sie nun zum Vernichtungsschlag gegen den öffentlichen Nahverkehr aus. Der ÖPNV soll zum PPNV, zum privatwirtschaftlichen Personennahverkehr werden. Nach einem in der Juli-Ausgabe der Kammerzeitschrift „Hamburger Wirtschaft“ veröffentlichten Konzept soll zukünftig „jedem Unternehmen, das die erforderlichen Voraussetzungen mitbringt, der Marktzutritt offenstehen“.
Ziel einer grundlegenden Neuordnung des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) müsse es sein, die Verkehrsmärkte zu öffnen und Wettbewerb zu ermöglichen. Als Grund für eine weitgehende Umstrukturierung nennt das Kammerorgan die 1995 inkrafttretende EG-Verordnung 1893/91, die auf einer klaren Trennung zwischen den Aufgaben des Staates, öffentliche Belange zu vertreten, und den Aufgaben der Unternehmen, Gewinne zu erwirtschaften, fuße. Deshalb müßten sich in Zukunft nach Kammer-Vorstellungen private Verkehrsunternehmen um die Transportrechte bewerben, um dann eine zeitlich begrenzte Konzession auf strikt kommerzieller Abrechnungsbasis zu erhalten.
Wie das öffentliche Nahverkehrsangebot in Zukunft aussehen wird, sollen jedoch weiter staatliche Organe bestimmen. In der Metropolregion Hamburg müßten sich drei Bundesländer, sechs Landkreise und eine Vielzahl von Gemeinden darauf einigen, welches Angebot zu welchem Preis politisch gewollt ist, und dieses dann auch finanzieren. Für zusätzliche Leistungen müsse der Staat den privaten Verkehrsanbietern dann den wirtschaftlichen Nachteil ersetzen, meint die Handelskammer.
Die Kammer schlägt vor, an die Spitze des neuen Verkehrsverbundes ein Gremium aus Politik und Verwaltung zu setzen, das die Anforderungen an den Nahverkehr bestimmt und die Gelder für die benötigten Zahlungen an die Verkehrsunternehmen bereitstellt. Darunter sollte eine staatseigene Vollzugsgesellschaft angesiedelt sein, die alle benötigten Verkehrsleistungen öffentlich ausschreibt und mit den einzelnen Verkehrsunternehmen abrechnet.
Ob durch ein solches Organisations- und Finanzierungsmodell das von der Handelskammer beklagte HVV-Defizit, das aus dem Steuersäckel gedeckt werden muß, kleiner würde, ist allerdings fraglich. Die Handelskammer rechnet für 1993 mit einem Verlust des HVV von 580 Millionen Mark. Denn das Handelskammer-Konzept bedeutet im Klartext: Private Verkehrsunternehmen sollen kassieren, die Stadt aber weiter die Verluste des defizitären Personennahverkehrs übernehmen.Marco Carini
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen