■ Die RAF reagiert abwartend auf den Tod von Grams: Die Zeit läuft
Die neue „Presseerklärung“ der Roten Armee Fraktion ist für sich schon ein Signal. Es besagt: Das Desaster von Bad Kleinen, der Schock des Todes eines Genossen und der Verhaftung einer Genossin, der Schreck über die erstmals gelungene Einschleusung eines V-Mannes, all dies hat die Handlungsfähigkeit der Gruppe nicht nachhaltig gelähmt. Sie ist nicht Hals über Kopf in alle Himmelsrichtungen auseinandergelaufen, um weiteren Festnahmen zu entgehen. Die RAF beobachtet offenbar sehr genau, wie das staatliche Krisenmanagement funktioniert, wer wem in den Schlüsselfunktionen folgt. Zum Beispiel den Wechsel an der Spitze des Innenministeriums vom farblosen Rudolf Seiters zum rechten Randmann Manfred Kanther.
Gleichzeitig bestätigt die Untergrundgruppe, was ihre professionellen Exegeten im Gegensatz zu manchen aufgeregten Kommentatoren ohnehin angenommen haben: Sie reagiert eher abgeklärt als aufgeregt. Spontane Anschläge als demonstrativ-wütende Rachereaktion auf die mutmaßliche Exekution des Wolfgang Grams sind nicht zu erwarten. Der vorläufige Verzicht auf Attentate gegen führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik, zu dem sich die RAF im April 1992 durchrang, ist Ergebnis intensiver Diskussionen, an denen Grams offenbar einen nicht unwesentlichen Anteil hatte. An der Vorstellung vom „Aufbau einer sozialen Gegenmacht von unten“ hält die RAF auch jetzt noch fest. Aber Zwänge will sie sich nicht auferlegen, weder zum Handeln – sprich zu neuen blutigen Anschlägen – noch zum Stillhalten. Eindeutig ist nur die Ambivalenz der Erklärung: Einerseits Festhalten am 1992 eingeschlagenen Weg, andererseits Betonung der neuen Situation, die gekennzeichnet ist durch Stillstand in der Gefangenenfrage, neue Prozesse gegen bereits zu Langzeitstrafen verurteilte Inhaftierte, Eskalation bei der Fahndung durch die „Hinrichtung“ von Grams. Also durch all das, was die RAF „Ausmerzverhältnis gegenüber linker Fundamentalopposition“ nennt.
Die Gruppe hofft offenbar, daß die Umstände der Festnahmeaktion in Bad Kleinen in der linksradikalen Szene jene Mobilisierung und Radikalisierung auslösen wird, die die Erklärungen des vergangenen Jahres nicht einmal ansatzweise bewirken konnten. Sie spielt auf Zeit. „Geht nicht zur Tagesordnung über!“ lautet die klare Aufforderung an die Linke. Der Appell richtet sich auf andere Weise auch an die Verantwortlichen in der Politik. Nicht verschärfte Fahndung, sondern allein ein neuer Anlauf für eine politische Lösung kann den Druck abbauen, der seit der Wildwest-Aktion am Schweriner See immer noch wächst. Die Zeit läuft. Wieder einmal. Gerd Rosenkranz
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