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Die Bürgernähe der Behörden Von Ulrich Hinz

Kontakt mit Behörden kann sehr verwirrend sein. Psychisch instabile Naturen verfehlen dabei schnell mal den schmalen Grat zwischen Antragstellung und Beharrlichkeit. Ein Labyrinth tut sich auch dann vor einem auf, wenn man eine amtliche Bescheinigung benötigt, für die sich keiner zuständig erweist. Versuchen Sie mal, eine Lohnsteuerkarte zu ergattern, wenn Sie sich an dem bestimmten Stichtag nach einem Ortswechsel am alten Wohnort zwar abgemeldet, am neuen aber nicht fristgerecht wieder angemeldet haben. Hier wie dort sind die entsprechenden Stellen nicht nur nicht zuständig, sondern auch nicht befugt, ihrem Antrag nachzukommen.

Sollten Sie für einen Amtsantrag dringend einen „BAföG-Negativbescheid“ benötigen, können Sie plötzlich vor ungeahnten Hindernissen stehen. Haben Sie zum einen vorher noch nie BAföG beantragt und sind mittlerweile vielleicht auch gar kein Student mehr, können Sie sich den Bescheid gleich abschminken. Denn da Ihre Ausbildung gar nicht BAföG-förderungsfähig ist, kann dieser Bescheid auch nicht ausgestellt werden. Eins muß man sich dabei klarmachen: Es geht überhaupt nicht um die Klärung der Tatsache, ob man BAföG bezieht oder bezogen hat, sondern allein darum, ob man theoretisch bezugsberechtigt ist. Wenn nicht, ist eine Überprüfung dieser Berechtigung gar nicht möglich, weil ohnehin kein Anspruch besteht. Alles klar? „Den Bescheid“, so versichert man Ihnen von der ersten Stelle, „müssen Sie aber unbedingt vorlegen.“ Boshafte Schimmelreiterei seitens der Beamten spielt in diesem Fall auch überhaupt keine Rolle. Alle Beteiligten sind sogar sehr höflich und hilfsbereit. Vielmehr scheint es sich hier um die real existierende Ausprägung eines Systems zu handeln, das für perfekte Ordnung sorgen will. Und das ausgerechnet durch Verwalten!

Mitunter ergeben sich jedoch putzige Schwächen. Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, daß der mit viel Trara eingeführte fälschungssichere Personalausweis nach einem Umzug einfach mit einem Aufkleber versehen wird, um die neue Adresse zu vermerken? Meine neue Anschrift prangt also auf der Rückseite meines Ausweises, wie das Preisschild auf einem folierten Sauerbraten im Supermarkt. Dabei ist völlig klar, daß Kleben keine dauerhafte Lösung ist. Schweißige Feuchtigkeit in der Hosentasche überwindet schnell die Haftungsfähigkeit. Die Etikette löst sich, wird lappig, verrutscht bis auf die Vorderseite, und eine gräuliche Schleimspur markiert den Weg.

Warum es keine bessere Lösung für dieses Problem gibt? Die Antwort ist verblüffend: „Es ist doch praktisch“, so versicherte man mir. „Stellen Sie sich vor: Nach jedem Umzug müßte man sonst einen neuen Personalausweis beantragen. Das würde jedesmal 40 Mark kosten!“ Da sage noch einer, die Verwaltung sei nicht bürgernah, wo sich doch alles um die Kostenvermeidung zugunsten der Antragsteller dreht. Ob es auch billiger war, neue Ausweise einzuführen? „Aber es geht doch mit den Aufklebern. Man kann die schützen, indem man den Personalausweis einfach noch mal in eine Klarsichthülle verpackt.“ Transparenz ist eben alles.

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