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Wider die Seepferdchenmanier

Letzte Wende zur ausklingenden Freibad-Saison: Ein Blick zurück im Zorn  ■ Von Oliver Gehrs

Erinnern Sie sich noch, wie unsere Autorin Ulrike Helwerth vor einem halben Jahr, also zu Beginn der Freischwimmer-Saison auf diesen Seiten bekannte, warum sie Feministin wurde? Daß es dazu an einem beliebigen Wochentag kam, in einem beliebigen Schwimmbad, nachdem sie von einer x-beliebigen Schwimm-Amphibie rüde eins in die Seite gekrault bekam? Freuten sich gar über längst überfälligen verbalen Bodycheck in die gestählten Rippen eines solchen Rüpels? Dann gehören Sie wohl auch zu den neckischen Seepferdchen, die den wahren Meistern der 100-m- Strecke immer und immer den letzten Nerv rauben.

Der Anblick des überfüllten Fahrradständers dämpft jegliche Hoffnung. Am Beckenrand angekommen, bestätigt sich die böse Ahnung. Im trüben Chlorwasser wimmelt es wie im Bassin einer Forellenzucht. Pilzähnliche Badekappen ragen heraus. Ihre Trägerinnen erfinden das Schwimmen neu. In Seepferdchenmanier schweben sie vertikal durch die Fluten. Andere paddeln gewasserten Maikäfern gleich und führen die Längsführung der Bahnen ad absurdum. Wie fleischgewordene Bojen schwanken sie im Wasser, immun gegen jede Art von Dynamik.

Ihnen allen pries der Hausarzt das Schwimmen als gesündeste aller Sportarten. Meist aber vergaß er zu erwähnen, daß einzig das Brustschwimmen dem körperlichen Wohl abträglich ist. Denn die Knie werden beim Beinschlag extrem verdreht, schnell kann so ein Meniskusschaden entstehen. Doch zu spät, diese Menschen wollen allein durch Wasserberührung gesünder und dünner werden.

Am Beckenrand nutzen pubertierende Jungmachos ihre Fastfoodkörper, um die Fontänen der „Bomben“ zu perfektionieren. Die bunte Schar der Beckenbesetzer will nur eines nicht: schwimmen. Und sie will auch nicht, daß jemand anders es tut. Wehmütig streift der Blick durch die dichtungslose Wettkampfbrille in die Ferne. Gähnende Leere im Nichtschwimmerbereich des Freibades. Jetzt heißt es entscheiden zwischen rücksichtsvollem Slalomschwimmen oder Vertreibung derer, für die auch eine Fangopackung genügen würde. Mit kräftigem Abstoß beginnt der Kampf gegen Ekel und Sturheit. Schon der erste Atemzug läßt erahnen, wie viele Sonnencremes heute auf ihre Wasserresistenz geprüft werden. Der Blick auf den Beckenboden offenbart die Spuren eines schönen Sommertages. Bizarr verklebte Pflaster ziehen wie ausgefranste U-Boote vorüber. Das Unterwasserhappening der Sekretfamilie sei von näherer Beschreibung ausgespart.

Doch sie alle sind dem Schwimmer liebgewordene Gesellschafter im Pool, verglichen mit den dümpelnden Feierabendsportlern. Auch die folgenden Sauerstoffschübe führen wesensfremde Gerüche mit sich. Sommertags durchgeschwitzte Körper verlieren auch im kühlenden Naß nichts von ihrem stechenden Aroma. Die Wende wird zur ernsten Herausforderung. Die Phalanx der hängenden Körper am Beckenrand läßt keinen Raum für Manöver. Wenigstens die nächste Bahn verspricht Genugtuung. Ein kräftiger Beinschlag genügt, um die Frisur einer Mittvierzigerin mittels Chlorwasser zu zerstören.

Doch Häme und Geschwindigkeit werden gebremst. Ein badender Bierbauch immensen Ausmaßes taucht in der Mitte der Bahn auf. Ein menschlicher Staudamm, der seinen Auftrieb lediglich Volumen und Fettleibigkeit verdankt. Es folgt ein kurzes Wortgefecht und die mühsame Beschleunigung aus dem Stand.

Die folgenden Runden sind vom Versuch gekennzeichnet, die Mitmenschen im Bassin physisch und psychisch zu verdrängen. Letzteres kann nur in einem tranceähnlichen Zustand erreicht werden. Durch die beschlagene Brille werden die Konturen unschärfer, der demotivierende Anblick verliert an Schrecken. Nur noch wenige Bahnen, dann ist es geschafft. Die Aussicht, das tägliche Pensum auch unter schwierigsten Bedingungen absolviert zu haben, verleiht zusätzlich Flossen. Letzte Wende. Die Zauderer meiden inzwischen den Körperkontakt. Schlußendlich Anschlag und zeitgleiches Verlassen des Wassers. Ein letzter Blick zurück. Die Belagerung hält an, während nachrückende Heerscharen aus den Kabinen strömen. Schnell unter die heiße Dusche. Freude darüber, bis zum nächsten Mal entkommen zu sein. Ein für allemal: Im kalten Wasser erscheint die Haut nur straffer, die Zellulitis bleibt!!!

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