: Gefangene der Endlosschlaufen
■ „Expanded Cinema“ im Künstlerhaus am Deich und im Kino 46: „Das perforierte Partikelprojektionsprojekt“
Schon drohen die nächsten Jubiläumsfeierlichkeiten: 1996 gilt es die Tatsache zu feiern, daß vor 100 Jahren der Film erfunden wurde. Natürlich geht es eigentlich nur um die erste öffentliche Filmvorführung, welche die Gebrüder Lumiére im Dezember 1896 in einem schummrigen Pariser Café gaben. Erfunden nämlich wird der Film immer noch, und immer wieder anders: Eine kleine, unbeugsame Schar von Experimentalfilmern werkelt nach wie vor am Wunder der bewegten Bilder, ersinnt laufend neue Projektoren, Licht-und Bildmaschinchen. Einige der Beharrlichsten im Lande weilen derzeit in Bremen. Im Künstlerhaus am Deich arbeiteten sie vier Tage lang an ihrem „perforierten Partikelprojektionsprojekt“, und nun schaut es in der Galerie aus wie bei Lumieres unterm Sofa: Herausgekommen ist ein wundersamer Maschinenpark, der bis Sonntag zum Schauen und Staunen einlädt.
Dahinter steckt die ihrerseits alte, aber immer wieder schöne Idee des „Expanded Cinema“, wie Achim Hofmann von den beteiligten „Fehrfeld-Studios“ erklärt: Die Vorstellung nämlich, das Kino, wie wir es heute als schicke Schachtel mit bequemem Gestühl und halbwegs einwandfreier Technik kennen, in alle erdenklichen Richtungen auszudehnen. So wird das Filmbild eher zur Nebensache: „Mich interessiert, was auf dem Weg zwischen Lampe und Leinwand passiert“, sagt der Braunschweiger Martin Hansen.
Ein solches Alternativkino läßt sich dann natürlich nicht bei Saturn-Hansa in der Elektroabteilung kriegen. Hansen und seine Kollegen müssen ihre Apparate von Grund auf selbst zusammenschweißen. Ausgediente Mixer bekommen da neuen Sinn, zerbeulte Tonbandspulen und Turngeräte fusionieren mit Resten altersschwacher Vorführgeräte. Bis irgendwann doch eine Art von Projektor herauskommt, der irgendwie eine Art von Lichtbild in die Welt sendet.
So schaut es am Ende meist recht malerisch aus, was an Mutationen unter den Händen der Experimentatoren neu entsteht. Das ist freilich eher ein hübscher Nebeneffekt des Unternehmens, wie Hansen einräumt. „Wir sind zwangsläufig immer dabei, irgendwelche günstigen Gebrauchtgeräte umzubauen“
Urzeitliche Kinomaschine: Wie bei Lumière unterm SofaFoto: Tristan Vankann
— weil für die neueste Technik schlicht das Geld fehlt. Aber auch, weil zu einer erweiterten Form des Kinos auch ein erweitertes, nicht standardisiertes Instrumentarium von Nöten ist.
So quietscht und rappelt es nun munter im ganzen Saale.
hierhin bitte
das Foto mit der
seltsamen Lampe
(leuchtet nach
rechts!!)
Und die Apparate werfen ihre Bilder kreuz und quer in den Raum, schleifen sie über den Boden, schleudern sie an die Decke und schicken sie auf Irrwegen endlich zum Betrachter. So schafft es Hansen, daß er sich in seiner Doppelprojektionsma
schine laufend selbst begegnet: Die beiden Endlosschleifen zeigen den Künstler, wie er die Treppe hinauf- bzw. hinabsteigt; durch genial simple Spiegeltricksereien aber scheint es, als sei der Protagonist auf teuflische Weise Gefangener des immer gleichen Kreislaufs. Das Licht ist schlecht, die Schauspieler sind schlecht, die Projektion ist schlecht — aber der Effekt ist wunderbar. Doppelgänger-Motive des frühen Horrorfilms, funzelige Stummfilm-Stimmung und Alptraum-Visionen sind hier kunstvoll ineinander geblendet.
Noch dämonischer ist nur die Installation von Jürgen Reble aus Bonn. Hier schießen aus drei Geräten dunkle Bilder an die Decke, wo sich Assoziationen von Makro- und Mikrokosmos wahlweise einstellen. Da werden die Kratzer auf den Filmstreifen zu Sternenstaub und umgekehrt. Und der Projektor wird zum Fernrohr, das in Räume jenseits aller Kinoillusionen vorstößt. Nur beeilen müssen sich die Filmfreunde: Durch chemische Infusion lösen sich Rebles Filme langsam auf — bis am Sonntagabend nichts mehr vom ganzehn Kosmos übrig ist. Thomas Wolff
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