: Für ein würdiges Fernsehen
■ „Delirium Telens“: Fotos von Christiane Böttcher & Thomas Tiensch in der GaDeWe
Sie sehen einem aus dem Fotorahmen heraus gerade in die Augen, mit so ungewohnt aufmerksamem Blick, als hätte man ihnen etwas von höchster Wichtigkeit und größter Bedenklichkeit zu sagen. Kinder gucken so, wenn man ihnen einen neuen Teil der Welt erklärt: skeptisch durchaus, konzentriert, und bemüht, kein Detail zu verpassen, manchmal auch mit aufgerissenen Augen. Die acht Männer und Frauen auf den Fotos von Christiane Böttcher – in höchst erwachsenem Alter übrigens – sollten sich vorstellen, vorm Fernseher zu sitzen. Entstanden sind dabei acht eindringliche Portraits in fernsehblauem Licht, die nun in einer Fotoausstellung in der GaDeWe (Galerie des Westens) zu sehen sind, und deren Ausstrahlung an die Utopie eines würdigen Fernsehens erinnert.
Die gemeinsame Ausstellung von Christiane Böttcher und Thomas Tiensch, Fotodesigner und Lebensgefährten, hat nun allerdings den Titel „Delirium Telens“, und so sind die meisten der gezeigten Fotografien der „Bewußtseinstrübung durch das Fernsehen“ gewidmet. Dabei ist vor allem auf den Bildern von Thomas Tiensch kaum zu unterscheiden, ob die Menschen vom Fernseher verrückt gemacht werden, oder gar der Fernseher von den Menschen, die sich ihm so unverdrossen gläubig hingeben. Da tummeln sich unter den Augen eines Mattscheibenstars kleine Menschenfigürchen im Inneren des Fernsehkastens wie in ihrem eigenen Zuhause. Ein apathisch zusammengekauerter junger Mann wird nur noch durch Schläuche und Drähte am Leben erhalten, die ihn mit einem unheimlich glühenden Riesenfernseher verbinden. Die raffinierte Tiefenschärfe-Technik macht daß die Fotografien von Thomas Tiensch den Fernsehkasten als eine selbständige Lebenswelt erschaffen, von der aus gesehen die Zuschauer nur noch ein eintöniges Programm abgeben, das nicht mehr abzuschalten ist.
„Delirium Telens“ wirft, trotz der zumeist surrealistischen Inszenierungen , einen nüchternen Blick auf den Wahnsinn unserer Fernsehsucht. Nur am Ende des Ausstellungsrundganges wird es spaßig, wenn die beiden FotografInnen sich als Protagonisten einer bundesdeutschen Fernsehhäuslichkeit mit Bier und Chips auf dem Sofa fläzen und „Verzeih mir“ sehen, „Mann-o- Mann“ oder, mit entsetztem Gesichtsausdruck, „Buten und Binnen“. Und tatsächlich: Ist es nun schlimmer, im Fernseher zu leben oder davor? Cornelia Kurth
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