: Die Gnade der späten Geburt?
Von Wunschkindern im Rentenalter, Befruchtungstourismus, Eier-Märkten, Föten als genetischen Müttern und anderen Schöpfungen der Reproduktionsmedizin / Bald auch Keimbahnexperimente am Menschen? ■ Von Ingrid Schneider
Pünktlich zu Christi Geburt vermeldete die Reproduktionsmedizin einen neuen Rekord: Eine 59jährige Britin brachte per Kaiserschnitt in London Zwillinge zur Welt. Die „millionenschwere Geschäftsfrau“ hatte sich vier Eizellen einer 25jährigen Italienerin einpflanzen lassen, die zuvor mit dem Sperma ihres 45jährigen Ehemannes befruchtet wurden. Technischer Erzeuger der zweifachen Mutterschaft ist der 47jährige römische Gynäkologe Severino Antinori.
Antinori macht seit Jahren mit spektakulären Schwangerschaften von sich reden: In sein „Internationales Zentrum für menschliche Reproduktion“ pilgern ältere, gebärversessene Frauen aus aller Welt. Ihre Hoffnung auf ein Kind ist sein Geschäft. Ein Behandlungszyklus kostet über 10.000 Mark – ohne jegliche Erfolgsgarantie. Schon bei der „Standard“- in-vitro-Befruchtung bleiben neun von zehn Frauen auch nach jahrelangen Torturen kinderlos, nach den Wechseljahren wird gar nur eine von hundert Mutter.
Befruchtungstourismus und Jagd auf Eier
Doch Antinori liebt es, sich vor den Medien als Begatter zu inszenieren. Mit Flaggen auf einer Landkarte hat er in seiner Klinik seinen europaweiten Befruchtungsfeldzug abgesteckt, die Wände sind mit lachenden Babyfotos bestückt. 1987 verhalf er zum ersten Mal einer 50jährigen Frau zur Geburt von Drillingen. Ende 1992 wurde eine 63jährige sizilianische Witwe mit Hilfe des Spermadepots ihres verstorbenen Mannes befruchtet, im August brachte eine 58jährige Schwedin Retorten- Zwillinge zur Welt. Obwohl er bereits mehrfach wegen Betrugs an seinen Kundinnen in Verruf geraten ist, scheut er keine Publizität; weiß er doch, daß jedes erfolgreiche Wunschkind im Oma-Alter ihm neuen Zulauf verschafft.
Denn längst gibt es einen internationalen Befruchtungstourismus, der sich über alle gesetzlichen Grenzziehungen hinwegsetzt. So ist in der Bundesrepublik die Ei- Spende verboten. Diese ist aber Voraussetzung für die Mutterschaft nach der Menopause, weil im weiblichen Körper nur bis zu den Wechseljahren eigene Eizellen heranreifen. Rohstoff-Beschaffungsquellen für das begehrte Ei- Material sind
– „überzählige“ Embryonen aus der Retortenbefruchtung,
– der Kauf von gewerbsmäßigen Ei-Spenderinnen,
– „Schenkungen“ von „selbstlosen“ Freundinnen, Verwandten oder anonymen Spenderinnen,
– und die (bisher unterentwickelte) Gewinnung von Eiern bei Unterleibsoperationen, im Sprachgebrauch der Medizin „Ernte“ genannt.
Italien ist – neben Kalifornien – zum Wunderland der späten Mutterschaften geworden. Skrupellose Mediziner in Bologna, Neapel und Rom „behandeln“ gegen das entsprechende Honorar Frauen jeden Alters. In England, Holland, Frankreich, Dänemark und neuerdings Ungarn werden Frauen „höchstens“ bis zum 50. Lebensjahr in Retortenbefruchtungs- „Programmen“ zugelassen. Doch auch dort ist die Ei-Spende ein legales Geschäft – sie muß nur als „Geschenk“ deklariert bleiben.
Bereits einen Monat nachdem in Österreich die Ei-Spende verboten wurde, eröffnete in Budapest das erste private Befruchtungszentrum – ausgestattet mit westlichem Know-how und Kapital. Dort erhalten Frauen einen Rabatt auf ihre teuren Behandlungszyklen, wenn sie „überzählige“ Eier abgeben – eine auch in Großbritannien übliche Praxis. In den USA ist der Ei-Verkauf bereits legal. Für 2.500 Dollar tragen junge Frauen dort ihre Eizellen zu Markte – nicht, ohne zuvor einen rigiden Gesundheits- und Persönlichkeitstest über sich ergehen zu lassen.
Als „Nebenprodukt“ der Retortenbefruchtung lagern bereits heute Zehntausende Eier und Embryonen tiefgekühlt in Labors. Für Jahrzehnte konservierte Eizellen würden es einer Frau dereinst ermöglichen, ihre eigene „Schwester“, die Eizelle ihrer verstorbenen Urgroßmutter oder gar ihren eigenen Klon auszutragen. Für die beliebige Rekombination von Erbmaterial über alle herkömmlichen Alters-, Generations- und Verwandtschaftsgrenzen hinweg sind inzwischen bereits die Grundlagen gelegt.
Forscher beklagen einen immerwährenden Ei-Mangel für Experimente und „Behandlungen“. Die Suche nach neuen Ei-Quellen macht erfinderisch. Der Physiologe Roger Gosden von der Edinburgh University brachte die Idee auf, aus abgetriebenen Föten Eizellen zu gewinnen. Die unreifen Eizellen weiblicher Föten könnten Frauen eingepflanzt werden. Bei Mäusen klappt die Transplantation fötaler Eizellen bereits: Der weiblichen „Empfänger“-Maus wuchsen gar „komplett neue, funktionierende Eierstöcke“, und sie bekam Nachwuchs. Wird diese Technik auf Menschen übertragen, so könnte ein nie geborener weiblicher Fötus zur genetischen „Mutter“ mehrerer Kinder werden. In Großbritannien debattiert man gerade darüber, Eibanken von fötalen Eizellen anzulegen. Schon ist ein Streit zwischen Gosden und dem Retortenpapst Robert Edwards um die Urheberschaft an diesem profitablen und patentierbaren Verfahren ausgebrochen.
Andernorts arbeiten Reproduktionsforscher daran, mit Hormonen die Wechseljahre bei Frauen hinauszuschieben.
Befruchtungsmärkte mit Milliardenumsätzen
Welche Langzeitfolgen solche Hormonexperimente haben können, ist noch völlig ungeklärt. Erst kürzlich wurde bekannt, daß mindestens vier Frauen in Australien, die in den sechziger und siebziger Jahren wegen Unfruchtbarkeit mit Eisprung-auslösenden Hormonen (hPG) behandelt worden waren, an der Creutzfeld-Jakob-Krankheit starben. Die Hormone waren aus der Hirnanhangdrüse von Leichen gewonnen worden. Das australische Gesundheitsministerium hat mittlerweile anerkannt, daß die tödliche Nervenerkrankung, die oft erst 20 Jahre nach der Infektion ausbricht, durch die Hormonbehandlung übertragen wurde.
Längst ist die Befruchtungsindustrie zu einem international boomenden Wirtschaftszweig mit Milliardenumsätzen geworden. Die Hoffnung – und die Fixierung aufs technisch machbare und käufliche Kind – halten die Nachfrage aufrecht. Auch in der Bundesrepublik soll das Kindermädchen zum Big Business werden. Am 1. Januar eröffnet im niedersächsischen Bad Münder die private „Deutsche Klinik für Fortpflanzungsmedizin GmbH“ ihre Pforten. Die von Doktor Werner Gehring geführte Klinik will dafür „sorgen, daß zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Umgebung Samen- und Eizellen aufeinandertreffen“. Dort sollen Paare „nach den weltweit neuesten wissenschaftlich anerkannten Methoden der assistierten Fortpflanzung behandelt werden“. In einer Informationsschrift der Klinik heißt es, mit der Reagenzglasbefruchtung „wird den Menschen jener Bereich zugänglich, der bisher weitgehend seiner Verfügbarkeit und direkten Planung entzogen war. Entwicklungsvorgänge der ersten Tage eines Menschen können kontrolliert außerhalb des Körpers ablaufen, die Einflußnahme durch Drittpersonen wäre möglich.“
Frauen als Versuchsfeld maßloser Experimente
In der Tat hat die Reproduktionsmedizin nicht nur die Fortpflanzung von der Sexualität getrennt, sondern auch die Grundlagen für die genetische Manipulation des Menschen geschaffen. Im renommierten Wissenschaftsmagazin Science wird inzwischen bereits offen über Keimbahnexperimente an Menschen diskutiert. Auch in Deutschland bröckelt bereits der Konsens über ein striktes „Nein“ zum Eingriff in die Keimzellen.
„In zehn Jahren wird es Kliniken für Frauen geben, die nach den Wechseljahren noch Kinder wollen. Ältere Frauen haben ebenso ein Anrecht auf ein Kind wie ältere Männer“, verkündete 1992 beim Berliner Gynäkologenkongreß Robert Edwards, der „Vater“ des ersten Retortenbabys. Wer glaubt, die Retortenbefruchtung sei ein Zugeständnis an emanzipierte Frauen, verschaffe „Befreiung vom biologischen Schicksal“ und dem Ticken der „biologischen Uhr“, verkennt gründlich Intention und Wirkungslogik der Fortpflanzungsmedizin und der durch sie geschaffenen Märkte und Karrieren. Frauen sind darin zum Versuchsfeld immer maßloserer Experimente geworden. Kinder, die heute schon bis zu fünf „Eltern“ haben können, werden morgen verstört nach ihrer Herkunft forschen, und entsetzt sein, wenn sie erfahren, daß sie zur Zeugung gekauft wurden. Wir stehen heute mitten in einer Entwicklung, in der der Kinderwunsch von Frauen zum Anspruch, ja zum „Recht“ auf ein – gesundes – Kind umdefiniert wird. Damit hat hinterrücks bereits die Pflicht zur genetisch qualitätsüberprüften, eugenischen Fortpflanzung schleichend Einzug gehalten.
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