: Von oben herab
Gefühlszuckerl und Erpressungsmittel: Plakate, Postkarten und Werbewände von Moonen & Arndt. „Achse Solitude Stammheim“ geriet zu einer eher betulich subversiven Aktion ■ Von Andreas Seltzer
Vor ein paar Monaten ist Katharina Siverdings DeutschlandGroßplakat von den Kunstobleuten als subversive Tat gefeiert worden; gerade erst ist der hohe Ton des Protestes von Jenny Holzer verklungen, die, als Anklage gegen die Vergewaltigungen und Morde in Bosnien, mit fein dosiertem Frauenblut den Umschlag des SZ- Magazins drucken ließ – da erreicht uns schon die nächste Stellungnahme aus dem Kunstbetrieb.
Diesmal kommt sie aus den Gast-Ateliers von Schloß Solitude bei Stuttgart. Die Absender heißen Rob Moonen und Olaf Arndt. Plakate, Werbewände und Postkarten sind ihr Medium, und ihre Botschaft sind Appelle: Achtung! fordern sie, Hersehen! Nachdenken! Die wahren Verhältnisse sind die Warenverhältnisse!
Halt! Kennen wir das nicht? Na klar, das mit den Warenverhältnissen gehörte doch zu den ewigen Wahrheiten, die in den linksbewegten Zeiten zwischen KPD-AO, schwarzrotem Block, Sponti- und Stamokap-Fraktion kursierten. Und was bieten die Slogans und Bilder von Moonen & Arndt sonst noch so? Die bewährten Ingredienzien, scheint es. Heartfield als Fond, Kruger und Staeck als ein bißchen Würze und dazu als Einlage Erinnerungen an liebgewonnene Persiflagen, wie etwa an jenes Plakat aus den klaren Tagen des SDS, das sich auf einen Werbespruch der Bundesbahn bezog: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ Bei Moonen & Arndt liest man über einem Luftbild des zerbombten Dresden die folgende Variante: „Alle reden von Rezession. Wir nicht.“
Man merkt es gleich: die Appelle der beiden geben sich auf ironische Weise militant. Heartfields Forderung, das Foto als Waffe zu benutzen, ist genausowenig vergessen wie Staecks Produktions- und Handelserfolg mit kritischen Devotionalien. Wofür und wogegen kämpfen nun Moonen & Arndt? Schon im Falle Heartfields klang die Verbindung von künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten und politischer Aktion nach Imponiergehabe. Hinter revolutionsbewußten Gesten ließ sich allerdings kaum die Erleichterung verbergen, daß mit der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung ein Feld gefunden war, auf dem man den „Wanderungen ins Nichts“ und der quälenden „Formschneiderei“, wie George Grosz und Wieland Herzfelde die Arbeit mancher Avantgardezirkel nannten, entrinnen konnte. Endlich war es möglich, die Kunst in den „Dienst einer lohnenden Sache“ zu stellen. Und im Falle Staeck? Da gehört zur Sicherung des eigenen Feldes die Bindung an die SPD und die Mitarbeit des Verlegers Steidel, der für die hohen Auflagen sorgt. Und wie ist es um das Feld von Moonen & Arndt bestellt? Ihres, so scheint es, ist das schwankende Kunstterrain, auf dem sie sich als schwindelsichere Einzelkämpfer behaupten wollen.
Dabei berufen sie sich auf Vorbilder der jüngeren Vergangenheit: „Uns geht es um die Politisierung der künstlerischen Möglichkeiten und überhaupt nicht um die Ästhetisierung des Politischen. Aber es gibt eine Chance gesellschaftlicher Arbeit auch für den Künstler, wir haben mehr als den Luxus, uns auszudrücken, wie wir wollen. Fassbinder, der Baader gut kannte aus den Schwabinger Kneipen in der Zeit vor dem Frankfurter Kaufhausbrand, der hat mal gesagt, daß er eben keine Bomben schmeißt: er dreht Filme. Er hat sich, wenn ich ihn richtig verstehe, für ein anderes Medium entschieden, um letztlich an den gleichen Themen zu arbeiten, notwendige Korrekturen an den herrschenden Verhältnissen vorzunehmen.“ Nun, man muß daran erinnern, daß in der Zeit, in der Fassbinder das mit dem Filmen als Bombenwurfersatz sagte, der Verbalradikalismus zum guten Ton für jeden Kunsteleven gehörte, der nach oben kommen wollte. Bald sollte sich herausstellen, daß deren scharfe Munition in den meisten Fällen als Rohrkrepierer endete oder – wie bei Fassbinder – sich als Tischfeuerwerk mit Lametta und Konfetti erwies. – In den Statements von Moonen & Arndt wird sorgsam eine Eingrenzung ihrer Kunstarbeit vermieden; sie wollen weniger als Künstler, dafür mehr als Kommunikatoren gelten, die zwischen Kunst und Werbung wechseln: „Wesentlich für uns war, eine Sprache zu entwickeln, mit der wir das Bewußtsein der Rezipienten erreichen, egal von welcher Plattform aus...“ Bei solchen Sätzen wird es offensichtlich, daß wir es hier mit Medienmechanikern, frisch aus der Berufsschule, zu tun haben. Nur drängt es sie, das Gelernte einem Publikum, das im Zustand äußerster Dumpfheit dahinvegetiert, als Erkenntnis zu implantieren. Und wozu? Damit die Leute denken lernen. Denn, so Arndt, „die Vorstellungen von räumlichen, zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhängen sind so stabil in deren Köpfen, daß sie eine Bildaussage, die sie sehen, nicht glauben, wenn diese grundlegend dem Gelernten widerspricht.“
Beispielsweise: „Das Maß aller Dinge ist der Markt“ mit einem Foto vom Stuttgarter Hauptbahnhof, den, wie das Berliner EuropaCenter, ein Mercedes-Stern ziert. Oder: „Gewonnen wird im Kopf“ mit dem Bild einer Atomexplosion und: „Jeder hat einen anderen Traum“ mit dem Porträt eines blutverschmierten Skinheads. Aber auch die Justizkritik wird gepflegt. Etwa mit dem Luftbild des zerstörten Knasts von Weiterstadt („Erfolge haben eine solide Basis“) oder mit den häufig wiederkehrenden Bilddetails des Hochsicherheitstrakts in Stammheim („Sicherheit. Ein Grund, warum viele Menschen bei uns Zuflucht suchen“). Auch die Sätze „Die Anatomie der Verhältnisse“ (über einer Profilaufnahme des erschossenen Wolfgang Grams) und „Schuld ist eine Frage der gesellschaftlichen Bedingungen“ (über einem teilverdeckten Porträt von Peter-Jürgen Boock) gehören in diesen Zusammenhang.
„Stammheim“, das ist für Moonen & Arndt Symbol all unserer unbewältigten gesellschaftlichen Konflikte. Und weil die Ortschaft Stammheim mit ihrem berüchtigten Knast in der Nähe von Schloß Solitude mit seinen Kunststipendiaten- und Gast-Ateliers liegt, wo die Insassen wie die Häftlinge gleichermaßen an Isoliertheit leiden, haben die beiden Künstler ihr Projekt auch prompt „Achse Solitude Stammheim“ genannt. Natürlich wissen sie, daß das Symbol Stammheim, das heißt die Geschichte der RAF, in besonderem Maße Abwehr und Faszination auslöst, weil mit ihm die Fragen nach der Radikalität verbunden sind, mit der die „notwendigen Korrekturen an den herrschenden Verhältnissen“ vorgenommen werden sollten. Und was machen Moonen & Arndt daraus? Sie reden gern über Gewalt. Und das tun sie so, wie die TV- Pädagogen, die Magazinkommentatoren von „Report“ und „Panorama“ etwa, ihre Beiträge vermitteln. Oft moralisierend und selten analytisch. Wie dort fungieren auch bei Moonen & Arndt die Bilder als Anreißer und die Sätze als Dementis, die deren Eindeutigkeit zu widerlegen suchen. Bei ihnen wird lieber verdunkelt als erhellt: „Wahrheit ist Wertgehorsam“, illustriert mit einer Aufnahme vom Schloß Solitude – das soll tief klingen, ist aber nur doof. Sie treten als Aufklärer auf und bedienen dabei das Vorurteil. Mit ihren Motiven des Hochsicherheitstrakts etwa nehmen sie die einst so beliebte linksradikale Phrase wieder auf, daß die BRD im Grunde ein Polizeistaat sei, dessen Masken von der Avantgarde der Durchblicker heruntergerissen werden müßten. Sie benutzen das „starke Bild“ ähnlich, wie „Misereor“ und „Brot für die Welt“ die Bilder hungernder afrikanischer Kinder einsetzen: als Gefühlszuckerl und Erpressungsmittel, das einem für den guten Zweck das Geld aus der Hosentasche zieht. Auch bei Moonen & Arndt folgt am Ende jedes ihrer Appelle der Hinweis auf ihre Bankverbindung. Selbstverständlich geht es den beiden hier nicht ums schnöde Geld, sondern um die ironisch gesetzte Selbstreklame. Moonen & Arndt soll kunstkorporierend als Namens-Logo jene stellvertreten, die es so interessant verstehen, Wut, Trauer, Schrecken ins beinah Metaphysische zu verwandeln. Das sind doch die, die dem Katalog-Schreiber Jürgen Schweinebraden Freiherr von Wichmann-Eichhorn die Kraft zurückgaben, noch einmal ins ganz große Empörungshorn zu blasen und Klage zu erheben: „...Niemand wollte sich den Designerstuhl unter dem in Bequemlichkeit verfetteten Arsch wegziehen oder sich ein härenes Gewand anstatt eines teuren sportswear überziehen lassen, mit dem man(n) in den Bordellen Thailands genausoviel hermachen konnte wie auf den Grillparties, den center-courts oder Golfplätzen around the world. Oder war es nur unser sich am schönen Schein hochschaukelnder Blick, der uns die dampfende Scheiße nicht sehen ließ, das schleichende Gift einer Überfluß- und Überdrußgesellschaft, die sich eher in virtuelle Welten abschieben läßt, als etwas länger vor einer ganz ordinären Plakatwand stehenzubleiben und dann den glasigen Blick zu bekommen, der hinter dem Schleier des Wahn(sinn)s sich wieder auf die dort zu findende Realität scharf zu stellen vermag.“
Wie sagen es Moonen & Arndt? „Man muß das Bewußtsein des Rezipienten erreichen, egal von welcher Plattform aus...“ Und wie kann man sich die Arbeit für dieses Tun vorstellen? Etwa so: Während Moonen & Arndt dabei sind, ihre Plattform mit starken Fotos und schwachen Sprüchen zum Gemeinplatz auszubauen, ist der Freiherr von Wichmann-Eichhorn auf seiner Plattform damit beschäftigt, Bußfertigkeit in Dekorationsartikel und Ingrimm in Stilblüten zu verdrechseln.
Bisher wurden 2.000 Plakate und vier Werbewände im öffentlichen Raum von Berlin gehängt, dazu seit dem 17. Dezember noch zusätzlich 1.000 Plakate und 100 Litfaßsäulen in Potsdam. Parallel zur Plakat-Aktion ist eine gemeinsame Publikation der Akademie Schloß Solitude in Stuttgart und von Rob Moonen & Olaf Arndt erschienen.
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