piwik no script img

Keine Rede von freier Rede

Saudi-Arabiens Fußballer sind die besten der Welt, schreiben loyale Federn. Das Land hat ein engmaschiges Überwachungsnetz, an dem auch Deutschland mitstrickt.  ■ Von Abdul Aziz Al-Shammari

Am 15. Februar vergangenen Jahres wurde Khaled Al-Maeena, Chefredakteur der führenden englischsprachigen Tageszeitung der Region, Arab News, und einer der wichtigsten Journalisten am Golf, von heute auf morgen entlassen, und im darauffolgenden Mai wurde die gerade erst gegründete Organisation „Committee for the Defence of Legal Rights“ (CDLR) verboten. Beide Ereignisse haben erneut auf Zensur und Menschenrechtsverletzungen im Königreich aufmerksam gemacht. Unmittelbar nach dem Golfkrieg gab es nämlich Erwartungen, daß sich Saudi-Arabien, zusammen mit anderen Monarchien am Golf, in Richtung offenerer Gesellschaften bewegen könnte. Mittlerweile jedoch ist klargeworden, daß Reformer und Moderate von radikalen Islamisten völlig beiseite gedrängt worden sind.

Al-Maeenas Entlassung wurde vom saudischen Monarchen, König Fahd Bin Abdul Aziz, höchstpersönlich gefordert. Der Journalist, selbst Sproß des saudischen Establishments und hartnäckiger Verteidiger seines Landes im Ausland, erfuhr von seiner Entlassung bei seiner Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt. Sein Vergehen war der Abdruck einer AP- Kurzmeldung zu einem Interview mit dem blinden Sheik Omar Abdul Rahman, dem in Washington ansässigen, ägyptischstämmigen Kleriker, in dem dieser die Regierung Präsident Mubaraks kritisierte und für ihren Sturz eintrat.

Palastkreise bestätigten, daß Al-Maeenas Entlassung vom Informationsminister General Ali Al-Shaer ausging. Der Minister ist von der „nationalen Sicherheit“ seines Landes besessen und genießt seine Rolle als Oberzensor des Königreiches. An besagtem 15. Februar rief König Fahd auf Anraten seines Ministers also die Verleger der Arab News, Mohammed und Hisham Hafiz, an und forderte die Entlassung ihres Chefredakteurs – ein selbst für Saudi-Arabien beispielloser Vorgang.

Das inkriminierte Interview mit Sheik Abdul Rahman war auch von anderen saudisch kontrollierten Zeitungen abgedruckt worden, einschließlich der in London ansässigen Al-Hayat, die Prinz Khalid Bin Sultan, Sohn des saudischen Verteidigungsministers, gehört; sie blieb unbehelligt.

Al-Maeena kam während des Golfkrieges zu einiger Berühmtheit, als seine Zeitung für die internationale Presse die einzige Nachrichtenquelle über Saudi-Arabien war und er überall im Ausland auf dem Bildschirm erschien, um sein Land zu verteidigen. Washington Post,New York Times und die London Times brachten Interviews mit ihm. Allerdings hat er sich immer geweigert, sich in jedem Detail an die offizielle Linie zu halten und seine Kommentare Al-Shaer zur Kontrolle vorzulegen, was für viele saudische Chefredakteure völlig selbstverständlich ist. Und er schrieb einige kritische Artikel über das Versagen der internationalen und islamischen Öffentlichkeit gegenüber Bosnien, über die Rechenschaftspflicht von Regierungen, über Bildung, Erziehung und andere sozialpolitische Fragen einer Gesellschaft, der er zunehmend kritisch gegenüberstand.

Al-Maeenas Entlassung hat die Welt des Business, der Medien und des Klerus in Saudi-Arabien enorm irritiert. Man fühlte sich an das Schicksal des Ex-Ölministers, dem charismatischen Ahmed Zaki Yamani, erinnert, der unter ähnlichen Umständen entlassen wurde. Noch irritierter waren viele Saudis, als König Fahd innerhalb weniger Stunden einen jemenitischen Journalisten namens Faruk Luqman zu Al-Maeenas Nachfolger bestimmte. Er war früher Chefredakteur der Voice of the South, einem Nachrichtenbulletin, dem enge Verbindungen zum saudischen Geheimdienst nachgesagt werden. Der König befahl außerdem, Luqman und seiner gesamten Familie sofort die saudische Staatsbürgerschaft zuzuerkennen – auch dies ein beispielloser Vorgang. Liberale, Intellektuelle und Islamisten sind sich darin einig, daß der Posten nicht an einen Ausländer hätte gehen dürfen, und sehen Luqmans Ernennung als Schlag ins Gesicht aller Saudis.

Sicher ist es extrem, daß ein Monarch Redakteure anstellt und entläßt. Ein Palast-Insider betonte jedoch: „Das macht nur der jetzige König, frühere Monarchen waren da eher tolerant. Al-Shaer hat den König dahingehend beeinflußt, die Medien unter Kontrolle zu halten. Seine zentralistische Herrschaft hat fast surreale Ausmaße angenommen. Er wählt sogar die Uniformen für die Hostessen der nationalen Fluglinie aus – und die Spieler der Fußballnationalmannschaft.“

Umgeben ist der König von Xenophoben und Paranoikern, die ihre eigene Angst vor internen und externen Feinden auf den Herrscher übertragen. Al-Shaer ist im Lande derart unbeliebt, daß sich viele Menschen in ihren Gebeten seinen Tod oder die Abdankung seines kränklichen Mentors, König Fahd, wünschen. Al-Shaers Schicksal, so glauben viele, ist vollkommen abhängig von dem des Souveräns, denn selbst wichtige Mitglieder der Königsfamilie, die ihrerseits Posten in der Regierung haben, sähen ihn lieber heute als morgen gehen. Seine Macht jedoch scheint ungebrochen, da er sogar die Publikation von Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten, wie beispielsweise dem auslandspolitischen Experten Prinz Bandar Bin Sultan und dem saudischen Botschafter in Washington, verhindern kann. Ein saudischer Redakteur klagte: „Es gibt keine klare Nachrichtenpolitik: morgens wird befohlen, den Iran zu beschimpfen, abends untersagt man es. Am nächsten Tag ist (Hassan) Al-Turabi, der islamistische Führer im Sudan, anzugreifen und jede Erwähnung des ,islamischen Bankensystems‘ zu unterlassen. Wenn ein US-amerikanisches Kriegsschiff in einem saudischen Hafen vor Anker geht, werden wir schnell instruiert, es nirgends zu erwähnen. Natürlich würden die meisten von uns viel lieber offen über saudische Angelegenheiten berichten, als es zur Zeit möglich ist.“

Ein ernsthafter Zwischenfall ereignete sich im September 1992, als fünf führende Chefredakteure des Landes bei Al-Shaer vorgeladen wurden. Ob Saddam schon wieder in Kuwait einmarschiert sei, fragte einer. Nein, war die Antwort, aber Präsident Bush könne womöglich die Wahl verlieren. Der Minister beauftragte die Redakteure deshalb damit, „ihre Zeitungen und Schreibmaschinen zum Lobe Bushs zu benutzen“. Am nächsten Tag hatten vier Zeitungen Pro- Bush-Artikel auf Seite eins, und am Wahltag titelte Al-Jazeerah: „Bush vor dem Sieg“.

Al-Shaer sorgte dafür, daß Bushs Besuch in Kuwait im April 1993 in saudischen Zeitungen ignoriert wurde, und in den frühen Achtzigern war er verantwortlich für das Nachrichtenblackout über die amerikanische Bombardierung Libyens. Der schwärzeste Tag der saudischen Medien war jedoch im August 1990, als Al-Shaer jeden mit Gefängnis bedrohte, der über Iraks Invasion in Kuwait ein Wörtchen zu verlauten wagte. Bis heute hat der Minister eine Hotline zu den Chefredakteuren des Landes, und viele kooperieren durch Vorlage ihrer Artikel vor Drucklegung oder Sendung.

Nachrichten-Charter und Sharia

Alle Nachrichten einschließlich ihrer Zensur werden durch den Obersten Nachrichtenrat kontrolliert, dem der Innenminister Prinz Naif Bin Abdul Aziz vorsteht. 1982 war das entsprechende Gesetz, die Saudi-Nachrichten-Charter, in Kraft gesetzt worden. Sein Artikel 29 verlangt von den Medien, ihre Priorität in der Förderung saudischer, arabischer und islamischer Nationalismen zu sehen und nicht etwa als unabhängige und objektive Körperschaften gegen Tyrannei und Korruption vorzugehen.

Artikel 25 besagt, daß „die Freiheit der Meinungsäußerung innerhalb islamischer Prinzipien und nationaler Ziele enthalten“ sei, ohne diese näher zu bestimmen. In Artikel 23 ist von der Achtung für die Rechte von Individuen und Gruppen die Rede, und die Medien werden ermahnt, „den Geist der Kooperation zu fördern und die Bürger über ihre Pflichten gegenüber dem Staat zu informieren“. Im Mai letzten Jahres betonte Prinz Naif, daß „wir unser Bestes tun müssen, unsere Nachrichtenmedien auf einen Stand zu bringen, der es ihnen ermöglicht, ein genaues Bild der arabischen Gesellschaft widerzugeben. Denn leider halten sich westliche Medien manchmal nicht an die Tatsachen.“

Nachrichten und Medienpolitik sind „Staatsdienst“, schon deshalb ist die Idee einer unabhängigen und investigativen Presse für die saudische Regierung obsolet. Zudem ist die Sharia (das islamische Gesetz) die Grundlage der saudischen Verfassung und Justiz; es ist völlig undenkbar, daß der saudische Staat sich zu ihr in Gegensatz brächte.

Auf dieser Basis konnte der Innenminister Prinz Naif westliche Berichte über Menschenrechtsverletzungen nach dem Verbot der CDLR im Mai 1993 zwar nicht dementieren, aber behaupten: „Als Anhänger der islamischen Lehre achten wir die Menschenrechte und nehmen die Entwürdigung von niemandem hin. In unserem Königreich haben wir aufgrund unserer islamischen Prinzipien mehr Achtung vor den Menschenrechten als jeder andere Staat oder jede andere Gesellschaft der Welt.“

Black Beauty und Faxmaschinen

Im Königreich existiert ein Direktorium von Zensoren, die „im verborgenen und anonym“ arbeiten. Daß Bücher – ob über Marxismus, Ökonomie, Mode oder Politik – verboten und konfisziert werden, ist ein ganz alltäglicher Teil des Lebens in diesem Land. Saudische Zöllner sind unerbittlich in ihrer Jagd auf Bücher und Zeitschriften, von Comics bis zu Klassikern der Jugendliteratur wie „Black Beauty“. Ihre Praxis übertrifft die ihrer südafrikanischen Kollegen zu Hochzeiten der Apartheid. Kein Buch und keine Zeitschrift darf ohne offizielle Kontrolle ins Land eingeführt werden.

Die Phobie vor fremden Publikationen ist extrem. Durchreisende Journalisten wurden verhaftet, weil sie Zeitschriften mit Ajatollah Chomeini auf dem Cover mitführten; und aus der in London erscheinenden Zeitschrift The Middle East wurden Seiten entfernt, in denen von saudischen Frauen berichtet wurde, die unter ihrer alles verhüllenden Abaya gerne Designerklamotten tragen. Sowohl Menschenrechtsaktivisten als auch radikale Islamisten kommunizieren über ein „iranisches Samisdat-Modell“. Sie benutzen Tonkassetten, um ihre Botschaft unter die Leute zu bringen, und Nachrichten und Artikel zirkulieren über Faxgeräte im vernetzten Untergrund. Wie allumfassend und wenig subtil die Zensur auch ist, so geben doch selbst Kritiker des Regimes zu, daß sie längst nicht so schlimm ist wie in vielen anderen arabischen Ländern. Ein anerkannter saudischer Schriftsteller, Opponent des gegenwärtigen Regimes und Befürworter einer konstitutionellen Monarchie, sagte: „Die Repression unserer Regierung ist nicht so schlimm wie in anderen Ländern. Kein Journalist ist etwa wegen Übertretung der Zensurbestimmungen umgebracht worden. Aber sie ist dumm und König Fahd einfach ein schlechter Regent. Statt sich mit qualifizierten Leuten und Machern zusammenzutun, hat er sich mit Idioten umgeben. Es gab keinen guten Grund für die Verhaftung der CDLR-Mitglieder, die Regierung hat total überreagiert.“ Pressezensur und Menschenrechtsverletzungen gehören eng zusammen. Anfangs wurde CDLR in den saudischen Medien totgeschwiegen – nach dem Verbot wurden öffentliche Denunziationen der Organisation und ihrer Mitglieder obligatorisch.

In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle heißt saudische Herrschaft „Herrschaft durch Angst, nicht Herrschaft durch Folter“. Patronage, Bestechung, die Androhung von Entlassungen oder der Schließung der Zeitung reichen in der Regel aus. Manche Redakteure und Schreiber haben sich mit Landbesitz, Autos oder Geld kaufen lassen. So kommt es, daß beispielsweise der Chefredakteur von Okaz, Hashim Abdul Hashim, einmal schrieb, die saudische Fußballmannschaft sei die beste der Welt,

Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

Asharq Al-Awsat nach der Washingtoner Vereinbarung titelte, „König Fahds Bemühen trägt Früchte im Bosnien-Vertrag“ und die ebenfalls in London ansässige Zeitschrift Al-Majallah, König Fahd seit acht Jahren zum „Mann des Jahres“ erklärt.

Selbst Doktorarbeiten und -titel müssen, wenn jemand mit staatlichem Stipendium studiert hat, von der Regierung abgesegnet werden. Im Februar 1993 schrieb eine Ärztin einen kritischen Report über eine bestimmte Bildungsanstalt und das Bildungssystem und fand danach – trotz hoher Qualifikation – keine Arbeit mehr. Selbst mächtige Ministerien wie das für Öl- und Mineral-Ressourcen beschweren sich über die Einmischung Al-Shaers in ihre Angelegenheiten, der den König beispielsweise davon überzeugt hat, daß ohne seine Zustimmung keine Presse-Statements mehr herausgegeben werden dürfen.

Saudische Intellektuelle und Schriftsteller sind der Meinung, daß politische Reformen, so wie die seit 30 Jahren immer mal wieder versprochene Shura, eine Art parlamentarischer Versammlung, nur Ablenkungsmanöver sind. „Die Sache mit der Shura ist dem König aufgezwungen worden, als Präsident Bush im Oktober 1990 Saudi-Arabien besuchte, um US- Truppen zu inspizieren. Ein Teil der US-Presse schrie Zeter und Mordio, daß er in einem Land war, das jede Demokratie verachtet“, sagte ein saudischer Schriftsteller. Die Ernennung der 60 Shura-Abgeordneten durch König Fahd ist seitdem überfällig. Die Versammlung solle, so Ghazi Al-Gosaibi, weitreichende Kompetenzen“ haben und „fast wie ein gewähltes Parlament“ funktionieren. Es soll Gesetze vorschlagen, sie jedoch nicht verabschieden dürfen und auch kein Vetorecht gegenüber Gesetzen haben, die von der Regierung verabschiedet werden. Nach Aussagen eines saudischen Beamten hat der König große Schwierigkeiten, die richtigen Personen für diese Shura zu finden – daher die Verzögerung. „Diese Leute wären in jedem Fall Jasager, eine zahnlose Versammlung, ein reines Nick-Parlament. Jede Legislaturperiode soll etwa sechs Jahre dauern, und jeder Abgeordnete erhält ein Monatsgehalt von 13.500 US-Dollar, Autos, Beihilfen und den Titel Exzellenz.“

Medien, Moral und Islamisten

Westliche Apologeten der saudischen Herrschaft argumentieren, daß, sobald die Regierung sich Gesellschaft und Staat öffne, sich radikale Islamisten das zunutze machen würden. Der britische Botschafter in Saudi-Arabien, David Gore-Booth, verteidigte aus Anlaß einer saudischen Ausstellungseröffnung im Juni letzten Jahres in London die Golfmonarchien zum Beispiel mit den folgenden Worten: „Die Erhaltung unser Monarchien ist ein Symbol der Kontinuität unserer Beziehungen. Die Monarchien des Nahen Ostens haben sich als die besseren Wächter des Reichtums ihrer Völker erwiesen als die Diktaturen, erbringen insgesamt die besseren Leistungen“, behauptete er, ohne im geringsten dabei zwischen einer konstitutionellen, durchs Parlament eingeschränkten Monarchie und einer absoluten, monolithischen und stagnierenden Institution zu unterscheiden, die an den sich schnell verändernden Werten und Erwartungen der saudischen Gesellschaft vorbeiregiert.

Die gleichen Apologeten geben sich auch allzuschnell mit der falschen Behauptung zufrieden, die saudischen Begriffe von Journalismus und Menschenrechten seien eben traditionell „anders“ und dürften einem westlichen Standard nicht untergeordnet werden. Viele saudische Schriftsteller halten eine solche Unterstellung für gefährlichen Unsinn: „Wer so redet, hat hier in der Regel geschäftliche Interessen. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist überall dieselbe und sogar im islamischen Begriff der ,ijtibad‘ (ein stetiger Prozeß freier Diskussion, Forschung und Debatte aller Muslims) enthalten, der von zahlreichen arabischen und muslimischen Regimes fälschlich in Besitz genommen wurde. Wir akzeptieren bestimmte Grenzen, innerhalb derer alle Zeitungen operieren müssen. Die meisten Journalisten und Bürger Saudi- Arabiens sind wahrscheinlich für eine konstitutionelle Monarchie. Aber sie wollen, daß sie sich reformiert und daß die Korruption der diversen Prinzen aufhört, die trotz ihres Reichtums nicht einmal Wasser und Elektrizität bezahlen.“

Aus dieser Frustration heraus bekommen die Radikalen immer mehr Zulauf. Die Stimmung ist an einem Punkt angelangt, „an dem niemand mehr glaubt, daß irgend etwas korrekt funktioniert. Viele gebildete Menschen aus der Mittelschicht haben ganz plötzlich ihre Sympathie für die radikalen Islamisten entdeckt. Die meisten sind durchaus nicht die fanatischen Fundamentalisten, als die der Westen sie beschreibt.“ Viele radikale Gruppierungen sind anfänglich durch diverse Regierungsapparate gefördert worden wie beispielsweise durch die Mutawa, die Moralpolizei; diese Leute finden nichts dabei, ein Paar, das sie auf der Straße zusammen gehen sehen, anzuhalten, um festzustellen, ob sie auch verheiratet sind. Manche dieser Gruppen sind inzwischen von jungen Ultra-Extremisten übernommen worden, die die Monarchie durchaus zu bedrohen scheinen. Und während die saudische Regierung Liberalen keine Möglichkeit gibt, ihre Meinung zu verbreiten, erlauben sie den Radikalen sogar, im Fernsehen ihre religiösen Standpunkte zu vertreten. Gleichzeitig versucht die herrschende Familie natürlich auch, ihre eigene, rigide Variante des Wahabbi-Islam den Leuten aufzuzwingen. Ein saudischer Intellektueller warnt: „Ganz plötzlich sind diese Extremisten außer Kontrolle geraten, Geister, die die Regierung gerufen hat und nicht mehr los wird. Liberale glauben, daß die Regierung, wenn sie nur wollte, den extremen Radikalismus beschneiden könnte, wenn nötig mit Gewalt. Wenn sie es gleich tut, kostet das vielleicht 50 Menschenleben. In drei Jahren wird es vielleicht 5.000 Menschenleben kosten. Die Regierung kann sich in ihren Jumbojets absetzen. Es ist das saudische Volk, das dann leiden wird.“

Die herrschende Elite des Landes stellt sich gern als vom Westen mißverstanden dar, der weder saudische noch islamische Konzepte und Traditionen von Demokratie kennt oder anerkennt. In der BBC- Sendung Panorama hatte Prinz Khalid Al-Faisal 1991 allerdings auch rundheraus erklärt, daß „Islam mit Demokratie nicht zu vereinbaren ist“. Islamische Gesetzesexperten widersprechen dem heftig und sagen, daß „der Islam im Gegenteil von Konsultation, Rechenschaftspflicht und „ijtihad“ lebt. Nach Rechenschaftspflicht sehnen sich die meisten Saudis am stärksten. Für sie wäre es eine große Genugtuung, einmal einen königlichen Prinzen oder Minister zu sehen, der wegen Korruption, Nespotismus oder Inkompetenz entlassen oder sogar bestraft würde.

Deutsches Know-how für Überwachung

Die Zukunft der Presse- und Meinungsfreiheit im Königreich Saudi-Arabien sieht eher düster aus: viele Saudis sprechen von einer „sozialen Zeitbombe“, da immer mehr Menschen eine bessere Bildung und Ausbildung erhalten und ihre Erwartungen damit steigen. Doch die Schraube wird immer enger gezogen, und das Innenministerium hat in seinen Schubladen bereits neue Pläne zur Verschärfung der Zensur, die den Ankauf neuester Überwachungstechnologien aus Deutschland und anderen westlichen Staaten einschließt. Die Deutschen haben das saudische Innenministerium, das heißt Polizei und Immigrationsabteilung, auch in der Vergangenheit mit hochentwickelter Computertechnologie beliefert, die zum Beispiel persönliche Daten speichert, die Identifikation erleichtert und für iqamas (Aufenthaltserlaubnisscheine) benutzt wird.

Ein saudischer Redakteur meint, daß auch die Bevölkerung am derzeitigen Zustand nicht ganz unschuldig ist. „Mitte der Achtziger gab es eine Tauwetterperiode, da hätte man sich äußern können; aber die Leute blieben stumm. Nun haben die Hardliner im Innenministerium und im Informationsministerium, beide von sehr unpopulären Ministern geleitet, buchstäblich die Kontrolle an sich gerissen.“ Jeder Redakteur lebt in der Angst, daß „sobald du etwas gefragt wirst, heißt das schon, daß etwas schiefgelaufen ist. Man kann nicht einfach schreiben, was man will. Ich rede nicht einmal von einer Kritik an der Monarchie, ich meine ganz einfache Kleinigkeiten: Artikel über schlechte Straßen und den Mangel an Reparaturarbeiten. Immerzu rufen Minister an, die rundheraus erklären, hierüber und darüber dürfe man nicht schreiben – aus Gründen nationaler und internationaler Sicherheit.“

Saudische Liberale sind, wie Islamisten und Anti-Zensur- und Menschenrechtsaktivisten, erstaunt über die mangelnde Unterstützung durch westliche Regierungen und NGOS, zumal, wenn man den international allgemein wachsenden Druck für Demokratisierung und Liberalisierung bedenkt. „Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß der Westen, und besonders die USA und EU, nicht wirklich an Menschenrechten in Saudi-Arabien und überhaupt am Golf interessiert sind“, sagt ein saudischer Hochschullehrer. Der Westen rede nur über Menschenrechte am Golf, in Wirklichkeit sei er aber nur an „fetten Verträgen“, besonders im Rüstungsbereich, interessiert. Kein einziger ausländischer Diplomat kümmert sich um dieses Thema – es wäre allzu unklug, es zu tun. Solange so viel saudisches Geld in teuren amerikanischen und europäischen Forschungs- und Entwicklungsprojekten steckt, so lange wird wohl keiner schlafende Hunde wecken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen