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Rechthabereien verhindern Drogentherapie eines Jugendlichen

■ Staatsanwaltschaft geht mit Jugendrichter auf Konfrontationskurs / Resozialisierung gefährdet

Die junge Staatsanwältin, die Jugendgerichtshilfe und Jugendrichter Joachim Katz waren sich einig Rigo S. solle eine Chance bekommen, endlich seine Drogentherapie anzutreten. Der 22jährige wurde deshalb vorige Woche wegen fortgesetzten Ladendiebstahls zwar für „schuldig“ erklärt, eine Strafe wurde jedoch nicht verhängt. Doch prompt hat die Leitung der Anklagebehörde Berufung eingelegt.

Rigo hat die typische Karriere eines Drogenabhängigen hinter sich: Mit 17 Jahren geriet er an die Nadel, seither lief alles schief: Beziehungen kaputt, Lehre abgebrochen. Seinen Drogenkonsum finanzierte er ausschließlich durch Ladendiebstahl. Und immer wieder ließ er sich erwischen.

Im Frühjahr 1991 saß Rigo das erste Mal vor Jugendrichter Katz auf der Anklagebank. Katz setzte vorerst das Verfahren aus, um dem Jugendlichen eine Bewährungsprobe zu geben. Auch als Rigo im Herbst 1992 abermals vor Gericht antanzen mußte, setzte Katz erneut den Prozeß aus und gewährte Rigo eine weitere Chance. Rico lehnte es zwar ab, in eine Drogentherapie zu gehen, beteuerte aber, selbst von seiner Sucht abzukommen und machte sogar Selbstentzug.

Rigo: „Es dauerte ein paar Wochen, und da war ich wieder drauf.“ Und er klaute natürlich wieder. Erst als er Anfang 1993 für drei Monate nach Polen ging, gelang es ihm, vom Heroin herunterzukommen und den Entschluß zu fassen, doch eine Therapie-Einrichtung aufzusuchen.

Wenige Tage vor Therapie-Antritt im April 1993 mußte Rigo allerdings noch einmal vor Gericht erscheinen, um sich für die letzten 15 Diebstähle zu verantworten. Diesmal war Amtsrichter Lutz von Selle für das Verfahren zuständig. Dessen Credo: „Der muß jetzt erstmal seine zweieinhalb Jahre bekommen.“ In der Tat: Zwei Tage vor Therapieantritt ließ Lutz von Selle Rigo aus dem Gerichtssaal heraus verhaften und in den Knast stecken.

Vorige Woche mußte sich Rigo S. nun wegen seiner Jugendsünden aus den ausgesetzten Verfahren wiederum vor Jugendrichter Katz verantworten. Nach dessen Ansicht ist “die Aufgabe des Jugendrichters Augenmaß, und davon hatte das Amtsgericht keine Ahnung“.

Wenn nämlich ein Jugendrichter zuletzt über die Straftaten eines Heranwachsenden urteilen muß, kann er auch eine Strafe, die nach dem Erwachsenenstrafrecht ausgesprochen worden ist, mit einbeziehen. Da Rigo Anfang Februar einen Therapieplatz hat, zudem seit einem Jahr clean ist, entschlossen sich alle Prozeßbeteiligten, das von Selle-Urteil kurzerhand zu kassieren: Rigo wurde „schuldig“ auf Bewährung gesprochen. Im Klartext: Es wurde keine Strafe verhängt. Und wenn Rigo clean und klaufrei bleibt, wären nach einem Jahr sämtliche Sünden verjährt.

Doch durch die Berufung der Staatsanwaltschaft wird Rigo höchstwahrscheinlich seinen Drogentherapie-Platz verlieren: Da das von Selle-Urteil noch gültig ist, kann er seinen Platz nicht rechtzeitig antreten. Kai von Appen

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