piwik no script img

„Neudeutsche Spießbürgerlichkeit“

Die unendliche Geschichte der Verpackung des Reichstags / Heute berät der Ältestenrat die Kunst am Bau / Christo will sich nicht ewig bestrafen für seine unglückliche Liebe zum Reichstag  ■ Von Anita Kugler

Seit fast 23 Jahren will Christo den Reichstag verpacken. Immer waren die christdemokratischen Hausherren dagegen. 1977 scheiterte er mit seinem Vorhaben am Widerstand von Bundestagspräsident Richard Stücklen, 1981 an dessen Nachfolger Karl Carstens und zuletzt 1987 an Philipp Jenninger. Nur Rita Süssmuth ist jetzt dafür, aber alleine will sie nicht entscheiden. Denn der Gegenwind von Bundeskanzler Kohl und seit neuestem auch von Innenminister Wolfgang Schäuble ist heftig. Sie könnten sich nicht vorstellen, sagten sie gestern bei einer eigens zu diesem Thema einberufenen Sondersitzung der Union, daß die Verhüllung mit der „Würde des Parlaments“ vereinbar sei. Das fanden mit ihnen auch 169 andere CDU- Parlamentarier und stimmten Christos Pläne nieder. „Ein Anfall neudeutscher Spießbürgerlichkeit“, so Wolfgang Thierse (SPD) zur Fraktionsabstimmung.

Es ist eine unendliche Geschichte, die aber trotzdem endlich werden kann. Denn noch niemals im Laufe der letzten 23 Jahre war die Sache parlamentarisch so weit gediehen wie heute. In den vergangenen Jahren entschieden immer einzelne Repräsentanten, jetzt Gremien, und auf die CDU kommt es nur unter anderem an. Die Runde beginnt heute abend im Ältestenrat. Wenn dieser, trotz klarem Pro-Christo-Votum der SPD- und Bündnis-90-Vertreter zu keinem eindeutigen Ergebnis kommt – und das ist wegen der Wackelposition der Union und der FDP abzusehen – wird über das Projekt im Bundestag debattiert und abgestimmt werden.

Die endgültige Entscheidung mag derzeit niemand voraussagen. Sollte die Mehrheit der 662 Volksvertreter aber die Hand für die Kunst am Bau heben, dann werden 14 Monate später silbern schimmernde Kunststofflaken über den Zinnen des Reichstages hängen. Sollten sie aber der Argumentation von Kohl, Schäuble, den CDU-Ostabgeordneten und anderen folgen, die um die „Würde des Hauses“ bangen, dann heißt es: auf Nimmerwiedersehen in Deutschland, Mister Christo. Denn ein Verschieben, ein Aussitzen des Problems ist nicht mehr möglich. Ab Frühjahr 1995 sollen andere Künstler den grauen Wallot-Bau verhängen: Bauarbeiter im Auftrag des Bundesbauministeriums. Und Christo hat es ebenfalls satt, weiter zu betteln und die Promotionstrommel zu rühren. Schließlich sei er weltweit begehrt, und die amerikanischen Bundesstaaten Idaho, Wyoming, Colorado und New Mexico würden sich um sein alternativ terminiertes Vorhaben „Over the River“ reißen. Ewig will er sich nicht bestrafen für seine unglückliche Liebe zum Reichstag.

Die beschrieb der 56jährige bulgarisch-amerikanische Performer kürzlich in einem Interview folgendermaßen: „Mich hat ungeheuer beeindruckt, wie isoliert das Gebäude auf dem leeren Platz steht. Ein schlafender Riese, der zum Leben erweckt werden will. In dem Augenblick, als ich den Reichstag sah, habe ich ihn geliebt. Warum? Weil er soviel bedeutet.“ Aber genau diese Bedeutung ist das Problem für die Volksvertreter. Vor dem Mauerfall interpretierten die Politiker sein Begehren als eine „Provokation“ gegen Berlin und Deutschland überhaupt (Carstens) und nach dem Mauerfall als eine „Verunglimpfung“ des Reichstags im speziellen und ganz allgemein als einen Versuch, die deutsch- deutsche Vereinigung durch „Wegpacken lächerlich“ zu machen (CDU-Abgeordneter Wolfgang Krause aus Dessau).

Dies sei ein Mißverständnis, meinte wiederum Christo im SFB. Er wolle nichts „wegpacken“, sondern „verhüllen, um den Mythos zu würdigen“. Das klingt etwas vage für einen theoretischen Beitrag zum Problem des Verhältnisses von Kunst zu Politik, und deshalb lassen sich auch die Berliner Christo-Fans gar nicht auf diese ideolgische Ebene ein. Sie diskutieren es vielmehr pragmatisch auf der Basis von Christos Promotionsmappe. Das Projekt koste die Stadt keinen Pfennig, die notwendigen sieben bis zehn Millionen Mark für die Realisierung bringen das Ehepaar Christo und Projektmanager Michael D. Cullen durch den Verkauf von Collagen, Zeichnungen und Entwürfen selber auf. Durch die Verwendung von in Deutschland produzierter Polypropylenfaser werde eine notleidende Branche gerettet. Zudem seien die 100.000 Quadratmeter Kunststoff recycelbar. Er könne in Wasserkraftwerken als Filter benutzt oder als Dünger in der Landwirtschaft verwendet werden. Und last but not least: Die Verhüllung werde eine große Show. 200 deutsche Bergsteiger sollen unter der Anleitung von Reinhold Messner – die Zusage liegt schon vor – den Reichstag besteigen und die schützenden Planen darüberhängen. Anschließend werde das Paket hübsch verschnürt und bleibe 14 Tage so stehen. Christo verspricht den Besuchern ein „dramatisches Erlebnis von poetischer Schönheit“.

Der Regierende Bürgermeister Diepgen ist jedenfalls sehr angetan. „Es paßt in unsere Zeit ... und ist auch für Touristen interessant.“ Die Tourismus GmbH jubelt. „Berlin käme dann wieder auf Seite eins der Zeitungen.“ Der Altberliner Hans-Jochen Vogel (SPD) spricht von einem „Publikumsmagnet“. Irana Rusta, kulturpolitische Sprecherin der SPD, betrachtet die Verhüllung als Aufwertung des Hauses und verspricht sich einen „gewaltigen Werbeeffekt für Berlin“.

Nur Heinrich Lummer, der für die Berliner CDU im Bundestag sitzt, und Uwe Lehmann-Brauns, kulturpolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, sind dagegen. „Wir leben in einer Zeit, wo man Müll vermeiden muß“, hat Lummer gelernt. „Eine aufgemotzte Banalität“, sagt Lehmann- Brauns. Aber wenn das Projekt verwirklicht werden sollte, „dann wird Berlin auch das überstehen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen