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■ Press-Schlag„Kein Kommentar“

Auf die Frage, ob Doping in ihrem Sport eine Bedeutung habe, antwortete die aussichtsreichste deutsche Olympia-Teilnehmerin, Eisschnelläuferin Gunda Niemann, dem Magazin Sports: „Kein Kommentar.“ Kein Kommentar ist kein Kommentar, aber deshalb nicht minder aufschlußreich. Über Doping spricht man nicht, im Zweifelsfall tut man's – sofern nicht das Gegenteil bewiesen ist. Und diesen Beweis anzustrengen, gestaltet sich (siehe: Interview) schwierig. Richtig, vor Gericht heißt es „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten. Dieser Auffassung ist auch Helmar Gröbel, Eisschnellauf-Bundestrainer seit 1991, bis 1986 in der trainingswissenschaftlichen Forschung in Berlin tätig: „Man muß mir meine Schuld beweisen, nicht ich anderen meine Unschuld.“

Im Grunde hat er recht. Wenn es nicht um Doping ginge. Das ist, mit Fontane zu sprechen, ein „weites Feld“, auf dem Unschuldslämmer solange unbescholten grasen dürfen, bis sich die informierte Öffentlichkeit „verarscht“ (Prof. Franke) vorkommt. Und das muß sie sich spätestens seit den Enthüllungen der Gauck-Behörde, wonach Doping in der DDR auf Anweisung von ganz oben gang und gäbe war. „Da wissen Sie mehr als ich“, sagt Helmar Gröbel. Und: „Man darf doch nicht alle in einen Topf werfen.“ Ein Kommentar erübrigt sich, weil sich hier Rede und Gegenrede die Waage halten. Solange nichts bewiesen ist, ist die Doping-Frage immer auch Glaubenssache.

Gerne würde der sportbegeisterte Mensch glauben, daß mit dem Fall des Schlagbaumes schlagartig alles anders wurde. Aber wer sagt denn, das alles anders ist? Zum Teil dieselben Leute, die schon früher den Persilschein ausstellten. Was sich als Farce herausgestellt hat. Der Ostblock ist zwar kollabiert, aber das Dopingsystem scheint zu expandieren. Auch gezwungenermaßen. Zunehmendes Wissen der Kontrolleure fördert die Forschung nach neuen Dopingmitteln und immer perfideren Praktiken. Wer glaubt, der Wintersport trägt eine weiße Weste, irrt offenbar gewaltig. „Keinen Kommentar“ wollte auch Hans-Georg Aschenbach der taz abgeben. Der Olympiasieger 1976 im Skispringen hat offenbar „zu schlechte Erfahrungen mit der Presse“ gemacht. Weil er sich unvorsichtigerweise selbst des Dopings bezichtigte? Oder weil sich das mit seiner heutigen Tätigkeit als Arzt schlecht vereinbaren läßt? „Die Aggressivität, die die Dopingpillen vermitteln, hielt die zehn Tage bis zum Wettkampf an – aber auch zehn Nächte. Diese Dinger waren so potenzsteigernd, daß du plötzlich angefangen hast, zu onanieren, im Wald, kurz vor dem Training hinter der Schanze, auf der Toilette oder sonstwo. Die Skilangläufer hatten's gut. Die Spitzenathleten wurden oft von ihren Trainern befriedigt.“ (nachzulesen bei B. Berendonk) Kein Kommentar.

Forschungsschwerpunkt in der DDR waren die Kernsportarten Leichtathletik, Schwimmen, Eisschnellauf. Hier sollte der Einsatz „unterstützender Mittel“, so wurde die DDR- Droge Oralturinabol verharmlosend genannt, erprobt werden, wie eine Rede des Chefarztes des FKS Kreischa, Professor Gürtler, heute Uni Greifswald, besagt.

Besonderen Einblick in den Dopingsumpf erhielt die Öffentlichkeit dank der Selbstreinigung von Jens Steinigen. Der Biathlet strengte 1991 einen Prozeß gegen den einstigen DDR-Chefverbandstrainer im Biathlon, Kurt Hinze, an. „Wenn man diesen Mann wieder zum Cheftrainer macht, kann man gleich Schalck-Golodkowski zum Finanzminister erklären.“ Jens Steinigen wurde auf dem Weg ins „ZDF- Sportstudio“ unter Druck gesetzt. Er ließ sich nicht einschüchtern und gewann. Seitdem wissen wir mehr. Zum Beispiel, daß Langlauftrainer, die sich damals weigerten, ihre AthletInnen zu dopen, wie Hennrich Misersky, in einem System, das Doping zur Selbstverständlichkeit und nicht zum ethisch verwerflichen Akt erhob, nicht mehr tragbar waren. Kein Kommentar.

Cornelia Heim

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