: Förderstunde Ibsen
■ Thalia: Jubiläumsgastspiel der Berliner Schaubühne mit Ibsens „Hedda Gabler“
Dadurch, daß das Thalia-Theater momentan eine Formkrise durchläuft, die man mit Ausstattungstheater und Klassiker-Repertoire zu verbergen, jedoch nicht zu beheben versucht, erhalten die Jubiläumsgastspiele am Alstertor den ungewollten Charakter von Förderstunden. Egal ob es sich um die Münchner Kammerspiele, das Deutsche Theater aus Berlin oder wie an diesem Wochenende die Schaubühne handelt: Die detailbesessene Genauigkeit bei der Textarbeit, die Ernsthaftigkeit in der Personenführung und die Konzentration der Phantasie auf das Wesentliche, die an diesen Adressen gepflegt werden, lassen den momentanen Mangel vor Ort umso deutlicher spüren.
Gerade in der konventionellen Art, in der Andrea Breth Ibsens Tragödie „Hedda Gabler“ inszeniert, läßt sich bestaunen, wie spannend und eindringlich Theater sein kann, wenn die zergliedernde Einfühlung und Abtastung einer Figur mit Akribie geschieht. Daß diese Präzision bis zur letzten Nebenrolle durchgehalten wird, macht die beeindruckende Homogenität von Andrea Breths Arbeiten aus. Elisabeth Orths einfaches, an der Arroganz der Herrin Hedda verzweifelndes Wesen der Haushälterin Berte ist nicht minder stimmig durchkomponiert wie Corinna Kirchhoffs pathologische und feige Unzufriedenheit, die allen Beteiligten zum Verhängnis wird.
Ihr gelangweilter, berechnender Haß gegen die sie umgebende selbstzufriedene Enge, ihre gefesselte Sehnsucht nach Zügellosigkeit und Pathos, ihre Unfähigkeit, die eigene Feigheit anders zu heilen, als durch einen Schläfenschuß, all diese Facetten bringt Corinna Kirchhoff in beängstigender Schärfe. Ihr kindgebliebener Mann Jörgen (Ulrich Matthes), der selbstgefällige Richter (Thomas Thieme), die Opferrollen von Tante Julle (Margret Homeyer) und Thea Elvstedt (Imogen Kogge), nirgends mangelt es an Konzentration, kein farbiger Weichzeichner retuschiert die Gnadenlosigkeit des tödlichen Elends in dem edlen Salon von Gisbert Jäkel. So streng und milimetergenau muß Schauspiel sein, das dem ästhetischen Experiment den Rücken kehrt. Till Briegleb
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