: Offensive der Bedenkenträger
Der Transrapid kommt in Bonn nicht voran: Der angekündigte Kabinettsbeschluß wurde vertagt, Bahnchef Dürr stellt neue Bedingungen ■ Aus Hamburg Florian Marten
Eigentlich hatten am 24. Februar schon die Sektkorken knallen sollen. In den ersten deutschen Wirtschaftsadressen, bei der Deutschen Bank, Siemens, Daimler und Thyssen, hatte man für dieses Datum fest mit einer positiven Entscheidung des Bundeskabinetts für den Bau einer 285 Kilometer langen Referenzstrecke von Hamburg nach Berlin für den Magnetschwebezug Transrapid gerechnet. Selbst wenn ein Kabinettsbeschluß noch kein Baubeschluß ist – vorläufig hätte das schwergewichtige industrielle Magnetbahnkonsortium mit weiteren Geldflüssen aus verschiedenen Bundeskassen rechnen dürfen.
Nun müssen sich die Herren noch ein wenig gedulden. Die Kabinettsdiskussion der Transrapid- Vorlage wurde vorerst auf den 2. oder gar 9. März verschoben. Danach solle das Sondergesetz, das für diesen Verkehrsfall erforderlich ist, „möglichst rasch den parlamentarischen Gremien zur Beratung vorgelegt werden“, sagte gestern ein Sprecher des Verkehrsministers.
Die Verlautbarung ist nur ein schwacher Abglanz des Ärgers, der seit einigen Wochen hinter den Kulissen in Bonn und anderswo tobt. Bundesforschungsminister Paul Krüger, zusammen mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Verkehrsminister Matthias Wissmann einer der treuesten Transrapid- Freunde, grummelte mißlaunig: „Ich beobachte mit Sorge, daß durch einseitige Stellungnahmen von Bedenkenträgern eine sachliche Diskussion um den Einsatz des Transrapid erschwert wird.“
Angesprochen fühlen darf sich zum Beispiel Gerd Aberle. Über das abschätzige Prädikat „einseitiger Bedenkenträger“ kann er nur mitleidig lächeln, zumal wenn es von einem Bundesminister vom Kaliber Krügers stammt. Denn Prof. Dr. Gerd Aberle ist seit vielen Jahren Deutschlands „Verkehrspapst“. Der scharfzüngige konservative verkehrswissenschaftliche Multifunktionär, ausgewiesener Freund von Marktwirtschaft und High-Tech, ist unter vielem anderem Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats im Bundesverkehrsministerium, kurz: Chef des Experten-Braintrusts der Regierung in Sachen Verkehr.
Nach einem ersten vernichtenden Anti-Transrapid-Gutachten im Sommer 1992, welches genüßlich die technischen, betrieblichen, verkehrspolitischen Fragwürdigkeiten des Projekts auflistet, haben Aberle und seine 13 professoralen Beiratskollegen jetzt erneut zugeschlagen. Ziel der Kritik ist jenes Betriebs- und Finanzierungskonzept, welches Anfang März den Kabinettstisch schmücken soll. Aberle und seine Kollegen analysierten die Vorlage und mußten feststellen, daß sie eine schier aberwitzige Ansammlung von Bestfall- Annahmen darstellt.
Aberles trockenes Fazit: Man dürfe doch bitteschön nicht auf der Basis „politischer Wunschentwicklungen“ kalkulieren. Etwa so: Wenn in den kommenden zehn Jahren die Wirtschaft boomt, die Ballungsräume Hamburg und Berlin wachsen, der Bau der Strecke völlig problemlos verläuft, sich keinerlei technische Schwierigkeiten einstellen, dann könnte es vielleicht sogar sein, daß statt heute jährlich insgesamt drei Millionen Menschen (davon zwei Millionen per Bahn und Flugzeug) zukünftig fast 15 Millionen allein mit dem Transrapid zwischen Hamburg und Berlin pendeln und dafür Fahrpreise von bis zu 180 Mark (1. Klasse IC heute: 79 Mark ohne Bahncard) zahlen. Aber: Selbst wenn all dieses eintrifft, wäre der Bund immer noch mit einigen Milliarden für Strecke und Betrieb mit von der Partie.
Die Liste der Absurditäten und Widersprüche der Kabinettsvorlage ließe sich uferlos verlängern. Der Transrapid-Experte des Umweltverbandes BUND Wilfried Sauter – ebenfalls ein Krügerscher „Bedenkenträger“ – diesmal aber gar nicht als Feuchtwiesen-Lobbyist, sondern vor allem als Wirtschaftsexperte faßt bündig zusammen: „Die Bundesregierung hat diesmal systematisch jeden Sachverstand ausgeklammert. Das Ganze ist ein schwebender Schabernack, ein 15 Milliarden Mark teurer Schildbürgerstreich.“ Aberle und Wissmanns Beirat assistieren süffisant: „Die Vermutung liegt nahe, daß die Wirtschaft mit einer höheren Staatsbeteiligung rechnet.“ Das Kalkül: Hat Bonn erst der unseriösen Vorlage zugestimmt, wird es im weiteren Verlauf des Projekts auftauchende Milliardenlücken schon zwangsläufig schließen. Die Risiken von Technik und Betriebsgenehmigung beispielsweise sind in der Vorlage schon jetzt allein Bonner Angelegenheit.
Diesen Braten hat auch Bundesschuldenminister Theo Waigel längst gerochen. Gegen Kohl, der das „Schilda auf Stelzen“ (Sauter) zur Chefsache erklärt hat, schieben seine Beamten immer neue Bedenken nach. Für mindestens ebenso erhebliche Unruhe sorgen die Absetzbewegungen der Lufthansa und des staatlichen Verkehrsgiganten Deutsche Bahn AG. Luthansa und DB sind als Betreiber der Referenzstrecke vorgesehen. Die Lufhansa ist derzeit weder willens noch in der Lage, die erforderlichen 150 Millionen Mark Einlagekapital zu stellen. Seit kurzem beginnt aber auch Bahnchef Heinz Dürr, Bedingungen zu stellen.
Seine Bedenken sind so neu nicht. Das ursprüngliche kategorische Nein der Bahn zum Konkurrenten Transrapid, der eine empfindliche Lücke ins europäische Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn reißen und den Ausbau der Strecke Hamburg–Berlin verhindern würde, hatte Dürr 1992 nur in ein Ja gewandelt, weil er sich damals keinen Konflikt mit Verkehrsminister und Bundeskanzler leisten konnte, die er beide für sein „Jahrhundertprojekt“ der Bahnreform brauchte. Jetzt hat Dürr seine DB AG und kann sein Ja modifizieren: Wenn Bonn das erforderliche Eigenkapital spendiere (inklusive Lufthansa-Anteil 300 Millionen Mark) und jährlich 200 Millionen Mark Verlustausgleich für verlorene Bahnkunden zwischen Hamburg und Berlin zahle, stehe die Bahn weiter als potentieller Streckenbetreiber für den Transrapid zur Verfügung.
Dennoch könnte Kohl, so munkelt man in Bonn, das Projekt allen Widerständen und Bedenken zum Trotz durchboxen. Hilfe bot ihm fürsorglich via Spiegel schon mal der SPD-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Klose an: „Mit Vernunftgründen allein“ komme man in dieser Sache nicht weiter. Auch die SPD könne sich ein Nein im Wahljahr nicht leisten: „Sozialdemokratie würde mit Technikfeindlichkeit gleichgesetzt.“
Der BUND will sich deshalb nicht allein auf kluge Bedenkenträgerei verlassen. Oliver Wendenkampf, Widerstandskoordinator im Anti-Transrapid-Kampf von unten, verkündete am Montag stolz in Hamburg: „In einigen Wochen werden Sie kaum ein Dorf ohne Bürgerinitiative an der geplanten Transrapid-Trasse finden.“
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