: Sippenhaft -betr.: "Tauwetter in der Hafenstraße" nebst Kommentar, taz vom 26.2.94 und "Hafen und Sozis auf Schmusekurs" nebst Kommentar, taz vom 28.2.92
Betr.: „Tauwetter in der Hafenstraße“ nebst Kommentar, 26.2.94, und „Hafen und Sozis auf Schmusekurs“ nebst Kommentar, 28.2.94.
Eure recht euphorische Berichterstattung am 26. und 28.2. über die „Chance“, welche Voscherau der Hafenstraße einräume (“frühlingshafte Läuterung“, „Deichbruch mit Herz“), ist nicht so recht nachzuvollziehen, wenn mensch den ganzen Voscherau-Text aus dem Abendblatt (dort 25.2.) kennt und die Geschichte der Auseinandersetzung über die Jahre verfolgt hat.
In seinem Artikel im Abendblatt beschwört Voscherau in dem in Eurer Dokumentation weggelassenen Anfangsteil zunächst die Erinnerung an die „Gewalttaten und schweren Straftaten“ der Hafenstraße. Nicht von ungefähr rückt er besonders die (niemals bewiesene) Legende von den vom Dach geworfenen Gehwegplatten ins Gedächtnis. Anschließend verweist er als zentrale Begründung für seinen „neuen Kurs“ Richtung „Angebot und Chance“ auf die nun (wieder) umgeschwungene Stimmung in der Bevölkerung und bei „wichtigen Persönlichkeiten und Institutionen“ gegen eine Räumung. Wenn dies sich auch politisch um- und durchsetzen solle, müsse bei der nun beginnenden Bebauung Ruhe herrschen.
Voscherau stellt damit die bisherige Art der Diskussion wieder vom Kopf auf die Füße (das ist dankenswert): Es geht nicht in erster Linie um den Wettbewerb für das bessere Baumodell auf dem Bauwagenplatz, es geht im Kern um Über- und Unterordnung. Die BewohnerInnen der Hafenstraße sollen beweisen, daß sie sich unterordnen wollen unter das, was diese Gesellschaft mehrheitlich für ihr Leben beschließt. Der Prüfstein dafür ist die gleiche alte - von uns damals „Sippenhaft“-Gedanke genannte - Klausel, die bereits zur jetzigen Kündigung des Pachtvertrages führte: Der Hafenstraße wird die Verantwortung für alles und jedes aufgebürdet, was in den nächsten Monaten in ihrem Wohnumfeld geschieht. Die Definitionsmacht für „friedliches Verhalten“ liegt natürlich beim Senat, letztendlich bei Voscherau.
Eine Räumung ist daher nicht vom Tisch. Der Senat hat sich alle Möglichkeiten offengelassen (es ist in der Vergangenheit bereits oft ein „Anlaß“, eine „Straftat“, konstruiert worden). Der Verweis auf öffentliche Stimmungen ist auch ein Verweis auf deren Beeinflußbarkeit. Die BewohnerInnen wären gut beraten, wenn sie dies von vornherein einkalkulieren und rechtzeitig thematisieren würden. Die neue „Sippenhaft“ führt nämlich ohne den Umweg einer Kündigung zur Räumung.
Frank Frind
Betr.: „Fronten verwechselt“, 3.2.94, „Terz im Kino“ 4.2.94
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