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Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Behörden können trotz restriktiver Gesetze für bedrohte Flüchtlinge Abschiebeschutz gewähren  ■ Von Walter Jakobs

Dortmund (taz) – Norbert Heckers ist redlich bemüht, seinen rund hundert Zuhörern im evangelischen Gemeindehaus in Dortmund-Asseln die juristisch komplizierte Lage nach der Aufhebung des Abschiebestopps für Kosovo- Albaner zu erläutern. Heckers, hauptberuflich in der Dortmunder Ausländerbehörde tätig, bittet zunächst um Verständnis: „Wir haben die Aufhebung des Abschiebestopps nicht zu vertreten.“ Die Situation sei für die Flüchtlinge bitter, aber „einen eigenen Handlungsspielraum hat die Ausländerbehörde nach den gültigen Gesetzen nicht“. Die zahlreichen Albaner im Saal wissen nur zu gut um die Lage in ihrer Heimat. Ihre Erzählungen, ein Videofilm und mehrere Augenzeugenberichte vermitteln auch für die deutschen BesucherInnen an diesem Abend ein realistisches Bild vom Ausmaß des serbischen Terrors gegen die albanische Volksgruppe im Kosovo. Die offiziellen Stellen wissen davon seit langem. Durch zahlreiche Menschenrechts- und UN-Organisationen ist die Verfolgung der albanischen Volksgruppe dokumentiert. Dennoch verweigert Deutschland ihnen dauerhaften Schutz.

Während die Oberverwaltungsgerichte in Lüneburg und Schleswig in zwei Asylentscheidungen davon sprechen, die albanische Mehrheit im Kosovo sei „einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit ausgesetzt“ (OVG Lüneburg), sieht der Bonner Innenminister in einem Rundschreiben an seine Länderkollegen vom 17.2.94 „kein[en] Raum“ für ein generelles Abschiebeverbot. Daß im Moment nicht abgeschoben wird, beruht nicht auf neuen Einsichten, sondern allein auf der Weigerung Rumäniens, sich als Transitland zur Verfügung zu stellen. Zurück an die Stätte des Terrors sollen die abgelehnten AsylbewerberInnen aus dem Kosovo ebenso wie von Verfolgung bedrohte Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus den anderen Teilen Restjugoslawiens. Wer als Kosovo-Albaner im behördlichen Asylverfahren scheitert – und das ist die große Masse –, dem bleibt nur der Weg zu den Verwaltungsgerichten. Doch der juristische Kampf gleicht eher einem Lotteriespiel. Glücklich schätzen können sich jene, welche vor den oben genannten Oberverwaltungsgerichten landen. Vor dem Verwaltungsgericht im westfälischen Minden scheitern dagegen ausnahmslos alle Kosovo-Albaner, und auch das OVG in Münster will von einer Gruppenverfolgung nichts wissen.

Norbert Heckers klärt über diese „so unübersichtliche Situation“ so gut es geht auf. Nach der Aufhebung des Abschiebestopps – NRW-Innenminister Schnoor hatte sich Ende letzten Jahres vergeblich bei seinen Amtskollegen um eine Verlängerung bemüht – empfiehlt er jedem einzelnen, einen Asylantrag zu stellen und die „individuelle Verfolgungssituation“ darzulegen. Angesichts der neuesten Urteile stünden die Chancen „nicht schlecht“. Wenn aber das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte negativ entschieden hätten, „dann müssen wir das akzeptieren“, erklärt Heckers den Flüchtlingen. Nein, da widerspricht Britta Jünemann vom Flüchtlingsrat NRW energisch: „Es besteht auch auf kommunaler Ebene immer noch ein Handlungsspielraum.“

Diesen hat in Bielefeld der Stadtrat auf Initiative von Flüchtlingsgruppen unterschiedlichster Coleur ausgenutzt. Einstimmig wurde die Verwaltung aufgefordert, im Rahmen einer Einzelfallüberprüfung sämtliche Ermessensspielräume zugunsten der verfolgten Kosovo-Albaner auszunutzen und vorübergehende Duldungen auszusprechen. Jürgen Heinrich, in Bielefeld Beigeordneter und für die Ausländerbehörde verantwortlich, meint: „Wir sind der Meinung, daß man Kosovo-Albaner nicht guten Gewissens abschieben kann. Natürlich können wir kein eigenes Bielefelder Ausländerrecht setzen, aber wir können die von Schnoor geforderte Einzelfallüberprüfung im Rahmen des geltenden Rechts außerordentlich sorgfältig durchführen“. Diese individuelle Überprüfung hat allen von Abschiebung bedrohten Kosovo-Albanern in der Stadt zunächst eine Duldung bis zum 30.8.1994 beschert.

Durch die Neufassung des Ausländer- und Asylverfahrensgesetzes wurde den örtlichen Ausländerbehörden zwar die früher geltende Kompetenz genommen, bei konkreten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit der abgelehnten Asylbewerber selbständig gegen eine Abschiebung zu entscheiden, aber roboterhaft nachvollziehen muß niemand die Anordnungen des Bundesamtes. Vor allem gibt es keinen Grund zur Eile. Vor Ort kann man die besonders bedrohten Kosovo-Albaner, Deserteure oder Kriegsdienstverweigerer zumindest „nachrangig behandeln“, wie es ein Verwaltungsprofi ausdrückt. So lassen sich Abschiebungen auch unter den verschärften ausländerrechtlichen Bedingungen über einen längere Zeit verhindern. Voraussetzung dafür ist, daß die kommunalen politischen Akteure bei dem Thema mit Rücksicht auf die bedrohten Menschen auf die sonst übliche parteipolitische Polarisierung verzichten. In Bielefeld und Detmold gelang es, am „runden Tisch“ das einheitliche Votum aller Parteien vorzubereiten.

Wer vor Ort bei abgelehnten Asylbewerbern aus dem Kosovo die Einzelfallprüfung auf den Test der „gesundheitlichen Beeinträchtigungen“ der abzuschiebenden Personen reduziert, so geschehen durch den Oberkreisdirektor des Hochsauerlandkreises, der sucht nur die eigene Ignoranz hinter Gesetzesvorschriften zu verstecken. Worauf es ankommt, hat der Bielefelder Heinrich so ausgedrückt: „In dieser Frage darf man nicht einfach wie ein Automat handeln.“

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