: Ein Hof voller Chefinnen
Weiberwirtschaft kaufte in Berlin ein Gewerbegelände für 50 Firmen / Hilfe für die von Banken diskriminierten Existenzgründerinnen ■ Aus Berlin Annette Jensen
An der schmalen Eisentür am Ende einer Mauer in Berlin-Mitte ein Schild: Eingang Weiberwirtschaft. Der Weg führt vorbei an einem Schutthaufen, Gerüststangen und Brettern in einen gelb-roten Backsteinbau, hinauf durch ein schäbiges Treppenhaus in den vierten Stock – immer geleitet durch DIN-A4-Zettel mit dem stilisierten Symbol einer alten Fabrikhalle. Aus einem Büro kommen Stimmen: Etwa 15 Frauen verschiedener Generationen drängen sich um einen alten Küchentisch; die drei Gastgeberinnen müssen mangels Stühlen stehen.
„Wir sind eine Genossenschaft und planen hier auf dem Gelände ein Frauengewerbezentrum für etwa 50 Firmen“, erzählt Monika Damm und rollt einen Grundrißplan aus. Läden, ein Restaurant, ein Café und ein Frisiersalon sollen im Erdgeschoß der Gebäude auf dem 3.800 Meter großen Areal untergebracht werden. Vorne an der Anklamer Straße in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude von „Berlin Kosmetik“ werden Rechtsanwältinnen, Versicherungskauffrauen, eine Psychologin und andere Frauen aus dem Dienstleistungssektor einziehen.
„Erst etwa ein Drittel ist hier schon fest vermietet, bei einem anderen Drittel verhandeln wir konkret – es gibt also noch gute Chancen für Interessierte“, ermutigt die 31jährige mit den sehr jungen Gesichtszügen ihre Zuhörerinnen. Und in den Häusern rund um die beiden Hinterhöfe, wo eine Kindertagesstätte, ein Fitneßstudio, Seminarräume sowie Werkstätten untergebracht werden sollen, sei sogar noch mehr frei. Geprüft werden die Bewerbungen sowohl nach betriebswirtschaftlichen Kriterien als auch danach, ob sie ins Gesamtprojekt hineinpassen. Durchschnittlich 25 Mark wird der Quadratmeter die Mieterinnen im Monat kosten.
„Wie sieht das denn nun aus mit Männern? Dürfen die hier auf dem Gelände grundsätzlich nicht arbeiten“, fragt eine junge Frau mit weißer Bluse, die einen Ausweg aus ihrem Jurastudium sucht. „Wir sind da nicht dogmatisch, auch wenn hier natürlich ganz überwiegend Frauenarbeitsplätze entstehen sollen“, benennt Geschäftsführerin Ute Schlegelmilch den Standpunkt, den die etwa 700 Genossenschaftlerinnen auf einem Plenum beschlossen haben. Die Leitung der Betriebe aber müsse in Frauenhand liegen. „Das ist ja wohl auch notwendig. Sonst ist vorprogrammiert, daß sich das Verhältnis ganz schnell wieder umdreht“, brummelt eine Frau, die ein Palästinensertuch um die Schultern gelegt hat.
Die Idee für die Weiberwirtschaft ist schon einige Jahre alt. Auf dem ersten Berliner Frauenarbeitskongreß stellten die Wissenschaftlerinnen Sabine Hübner und Claudia Gather 1987 die Ergebnisse ihrer Forschung über Existenzgründerinnen vor. Das Fazit war eindeutig: Ihre Chancen sind viel schlechter als die von Männern. „Noch immer werden Frauen bei Banken nicht ernst genommen, und nicht selten wird vermutet, daß sie von einem Ehemann vorgeschickt werden“, berichtet Öffentlichkeitsarbeitsfrau Monika Damm. Auch haben Existenzgründerinnen weitaus größere Angst, sich zu verschulden als ihre männlichen Konkurrenten, können oft nicht auf Unterstützung durch ihre Familie bauen und nur selten auf Managementerfahrungen zurückgreifen.
Spontan bildete sich damals eine Arbeitsgruppe, die sich zu einem Verein und schließlich zu einer Genossenschaft mauserte. Die Suche nach einem geeigneten Grundstück begann. Nach mehreren Flops entdeckten die Weiberwirtschaftlerinnen das Gelände der von der Treuhand abgewickelten Berlin Kosmetik, an die heute noch eine abgeschaltete Leuchtreklame erinnert.
„Die Treuhand wollte mindestens 20,5 Millionen Mark haben“, erinnert sich Damm, die das Objekt zufällig abends auf dem Weg zur U-Bahn entdeckte. Nach einmonatiger Verhandlung hatten die Frauen den Preis auf 12,3 Millionen Mark gedrückt – mit der Zusage, noch einmal ebensoviel zu investieren und 200 Arbeitsplätze zu schaffen. „Als wir uns beworben haben, wußten wir noch nicht, wie wir das alles finanzieren könnten – und am Tag, als die Frist ablief, war unsere Bankbürgschaft gerade wieder geplatzt“, erzählt die Politologin, die ein kleines Schild mit der Aufschrift „Ich bin spitze“ auf ihrem Schreibtisch plaziert hat. Schließlich aber hatte die Weiberwirtschaft die nötigen Finanzen doch zusammen: Senatsgelder und ein Kredit von der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank ermöglichten den Kauf. Und seit letztem Herbst wird gebaut.
Heute: Ein Mann hockt auf einem Gerüst und verspachtelt die Fugen an einem Durchgang. Aus einem Hinterraum plärrt ein Radio, Hammerschläge hallen durchs Haus. „Nein, warum nicht für Frauen arbeiten? Ich diskriminiere niemanden“, meint der Bauarbeiter, der zusammen mit etwa zehn – ausschließlich männlichen – Kollegen das Vorderhaus restauriert. Im September soll dieser erste Teil des Gewerbegeländes bezugsfertig sein. Ende 1995 werden nach den Plänen der Projektweiber alle Gebäude belegt sein. Wenig aufgeschlossen für Neues zeigt sich hingegen ein Mann in der Kneipe um die Ecke, der kurz von seinem Bierglas aufblickt: „Weiberwirtschaft. Wat issen das? Was zum Bumsen, oder wie?“
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