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Der Königshainer Tunnelkrimi

A4: Deutschlands längster Autobahntunnel entsteht in Deutschlands kleinstem Gebirge in Sachsen / 42 Ameisen- und 128 Bienenarten haben gegen die Gigantomanie in Beton keine Chance  ■ Von Detlef Krell

Die Königshainer Berge greifen bis nach Berlin, ans Fundament des Reichstages. Der grobkörnige, sehr gut spaltbare Königshainer Granit wurde für das Fundament des wilhelminischen Protzbaues verwendet. Er trägt auch den Leuchtturm auf Kap Arkona. Verstreut über das sächsisch-böhmisch-schlesische Dreiländereck, ist er als Türpfosten, Treppenstufen, Brückensockel oder Gehwegplatten immer wieder zu erkennen. Königshainer Granit war ein begehrter Baustoff und darum ein rasch schwindender. 1975 war der Granitabbau, wie es damals hieß, „wegen Mangel an abbauwürdigem Gestein endgültig zum Erliegen gekommen“. Das kleine Gebirge zwischen Görlitz und Niesky in Sachsen gehörte von da an der Natur und den Wanderern allein.

Naturfreunde kommen ganz schnell ins Schwärmen, wenn sie von den Königshainer Bergen erzählen. Bernhard Seifert ist Mitglied der 1823 gegründeten Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz. Für ihn ist das „kleinste Gebirge Deutschlands“ so etwas wie ein Paradies vor der Haustür. „Es wird geschätzt, daß in den Bergen mindestens 50.000 Tier- und Pflanzenarten beheimatet sind.“ Wissenschaftliche Studien über einige Organismen würden noch fehlen, es gibt nur die Schätzzahl. Sicher sei aber, daß in dem dichten Gebirgswald 100 besonders geschützte Wirbeltierarten leben, davon 15, die vom Aussterben bedroht sind. Lebensraum finden Uhu und Seeadler, Wendehals und Grauspecht, 42 Ameisenarten und 128 Arten von Wildbienen. Ganz zu schweigen von der Flora, soviel Kräuter kennt kein Mensch.

Bernhard Seifert greift sich Lineal und Bleistift, breitet seine „Wanderkarte Oberlausitz“ aus und zieht zwei dicke, parallele Striche. „Das wird die Autobahn.“ Die Verlängerung der A4, eines der Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan. Jahrzehntelang war die A4 bei Bautzen im Sande verlaufen. Weiter waren ihre ersten Bauherren im Nazideutschland nicht gekommen. Die Planwirtschaft in der DDR plante zwar viel, konnte sich aber zum Bauen nicht recht entschließen. Nun wollen es die Regierungen in Dresden und Bonn endlich wissen: Die Lücke zum polnischen Autobahnnetz soll geschlossen werden. An der Neißebrücke bei Ludwigsdorf, nördlich von Görlitz, wird fleißig gebaut, und die Verlängerung der A4 bis Weißenberg ist bereits fertiggestellt. Jetzt nähert sie sich Nieder Seifersdorf, von wo aus die Königshainer Berge bereits zu erwandern sind. Noch in diesem Jahr soll in Thiemendorf, am Fuß des markanten Hochsteins (406 Meter), mit dem Bau eines Autobahntunnels begonnen werden: mit 3,29 Kilometern der längste in Deutschland. Mindestens vierzig Monate Bauzeit sind zu erwarten, unabsehbar die Kosten.

Im günstigsten Fall wird die Gebirgsröhre etwa 120 Millionen Mark teurer als die von der Landtagsopposition, der Grünen Liga und von Naturschützern als Alternative vorgeschlagene Süd-Umfahrung der Königshainer Berge. Aber diese Diskussion ist lange her. Nachdem die Pläne für die alte „Reichstrasse“ fünfzig Jahre lang still vor sich hin gilbten, konnte es nach CDU-Verkehrsminister Krauses (das war der Clevere mit den Raststätten und der Putzfrau, der Günther) „Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz“ ganz schnell gehen. Am 12. August 1992 bestimmte der Beschleunigungsminister, einvernehmlich mit der CDU-Mehrheit im sächsischen Landtag, den Bau des Nord-Tunnels. Eine Umweltverträglichkeitsstudie, die der Süd-Variante den Vorrang gab, war kein Hindernis. Nächster Schritt wird das Planfeststellungsverfahren für den Tunnel. Einen Termin gibt es noch nicht. Doch Sachsens Verkehrsminister Kajo Schommer (CDU) will noch in diesem Jahr bauen.

Klagen können sowieso bloß die „unmittelbar Betroffenen“. Georg Brückner ist einer von nur zwei Thiemendorfer Bauern, die es sich nach Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft getraut haben, auf eigenem Bauernhof zu wirtschaften. „Hart ist es schon, aber ich komme zurecht. Habe ja bei Null angefangen“, gibt sich der Bauer zuversichtlich. Auf seinem stattlichen Vierseitenhof müßte gebaut werden; Putz und Farbe haben die Mauern seit Jahrzehnten nicht gesehen. An einem Giebel der einstigen LPG-Anlage ist noch eine schöne Losung zu entziffern: „Arbeiter und Bauern! Beachtet die Arbeitsschutzbestimmungen.“ Brückner erzählt, er habe vom sächsischen Landwirtschaftsministerium großzügige Kredite bekommen. „Sonst wäre gar nichts gegangen. Aber wenn es mit dem Abzahlen losgeht ...“ Mit dem Milchgeld allein und dem Ertrag vom Acker werde er den Hof kaum halten können. Deshalb würde er gern „Urlaub auf dem Bauernhof“ anbieten, für Behinderte, die mit ihren Betreuern, ihren Familien genügend Platz hätten bei Brückners, Tiere zum Anfassen und Wanderwege, die auch mit dem Rollstuhl zu fahren sind.

Zweitausend Lastwagen täglich beim Tunnelbau

Rund 350 Meter hinter seinem Hof soll die Autobahn in den Tunnel tauchen. „Das wird hier sehr gut zu hören sein.“ Vielleicht, eine vage Hoffnung, schlucken den Lärm die Schallwände. Wie das aussehen wird, meterhohe Betonmauern in dieser sanften Landschaft, daran mag der Hobbyjäger und erklärte Naturfreund gar nicht denken. Dennoch wäre der Tunnel das kleinere Übel: „Zuerst sollte die Autobahn hier oben, mitten durch die Berge geführt werden. Das wäre Wahnsinn gewesen.“

Dreizehn Kinder und drei Katzen spielen im Thiemendorfer Kindergarten. Die Frauen, die dort an diesem Nachmittag ihre Kleinen abholen, sind auf die Betonröhre unter ihrem Dorf nicht gut zu sprechen, aber sie sehen auch keine Chance, den Schicksalsschlag abzuwenden. „Von Auswirkungen hat niemand gesprochen“, erinnert sich eine Frau an die Dorfversammlung vor drei Jahren, „nur von den Vorteilen des Tunnels.“ Die würden ihr ja einleuchten, im Vergleich zu einer Trasse „oben lang“; doch bis der Tunnel fertig ist, sollen zweitausend Lastwagen täglich das zutage geförderte Gestein wegfahren. Da wird um Thiemendorf die Hölle los sein. Der Straßenbau-Chef im sächsischen Wirtschaftsministerium, Bernd Rohde, hatte Landräten und Bürgermeistern damals den Mund wäßrig gemacht: „Diese Trasse muß das Modernste werden, was es in Europa gibt, koste es, was es wolle. Das geht bis zum Einbau von Filtern. Geld ist ausreichend da. Die Durchquerung der Königshainer Berge muß als Modellfall für alle zukünftigen ähnlichen Fälle gelten.“

Gigantomanie, von der die Betroffenen nicht überzeugt, sondern glatt überfahren wurden. Davon spricht die Mitarbeiterin eines Gemeindeamtes, die aus Sorge um den Job ihren Namen verschweigt. „Der Verkehr, zum Beispiel in Nieder Seifersdorf, ist schon jetzt kaum auszuhalten. Dort soll aber eine Autobahnabfahrt hin. Für unsere Kinder ist es jeden Tag lebensgefährlich, zur Schule zu gehen. Ein Radweg müßte gebaut werden. Die Bürgermeister kämpfen darum, aber ob sie für den Radweg Geld bekommen, ist noch völlig unklar.“ Der Tunnel wird den Dörfern keinen einzigen dauerhaften Arbeitsplatz bringen. Angeblich sollen mit der Autobahn auch die langerwarteten Touristen kommen. Eine Schnapsidee, die bestenfalls ein müdes Lächeln auslöst. „Das einzige, was wir hier zu bieten haben, ist Ruhe und Natur. Das ist selten genug, aber genau damit ist es dann vorbei“, wissen die Thiemendorfer.

Simone Ziebart arbeitet auf einer auslaufenden ABM-Stelle für die Grüne Liga in Görlitz. Sie hat nur eine logische Erklärung dafür, daß gegen alle ökonomische und ökologische Vernunft der Tunnel und nicht die Südtrasse gebaut wird: „Man will soviel Straßen wie möglich.“ Die Entscheidung für Nord, und damit für den Tunnel, ist nämlich keine Absage an Süd. Nein, im Süden wird zusätzlich gebaut. Nicht die Autobahn, sondern eine vierspurige Bundesstraße. Die B6 wird ausgebaut, die Städte Reichenbach und Görlitz sollen Ortsumfahrungen bekommen. Am Ende liegen dann eine Autobahn und eine autobahnähnliche Bundesstraße nah beieinander; und mittendrin, wie eine Insel, die Königshainer Berge.

Auf deren höchstem Gipfel, dem Hochstein, steht ein Aussichtsturm mit 101 Stufen. Sein erstes Leben hatte er als Übungssprungturm für Fallschirmspringer der „Gesellschaft für Sport und Technik“. Von der Aussichtsplattform bietet sich ein phantastischer Blick über den Buchenwald und das Felsenmeer, das hier aussieht, als ob es aus Sandsäcken und Matratzen zusammengesetzt wäre. Nebenan, auf dem Totenstein, gab es in der Bronze- und Eisenzeit eine Opferstätte. Unzählige Vogelstimmen sind hier oben zu hören, leise die Kirchglocken der umliegenden Dörfer, und sonst nur Stille. Ein zweistündiger Wanderweg führt vom Hochstein durch das Landschaftsschutzgebiet zu den Ullersdorfer Teichen. Dort leben Fischotter, Schwarzstorch, Rohrweihen und Rotbauchunken, allesamt vom Aussterben bedroht. Zwischen Teich und Fels soll der Autotunnel das Gebiet durchqueren. Oder wird die Trasse doch schon bei Nieder Seifersdorf enden, in einer Sackgasse?

Die Kritiker des Projekts haben nicht alle Hoffnungen begraben, obwohl ihre Chancen schlecht stehen. Nicht allein mit dem Beschluß über die Linienführung wurden Tatsachen geschaffen. Weder Verbände noch Bürger können dagegen klagen. Die umstrittene Rechtslage sieht Klagebefugnis der betroffenen Gemeinden nur für Segmente der Gesamttrasse vor. Eingang und Ausgang der Röhre sind praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit festgelegt worden, weil es für die Segmente über Tage kein öffentliches Verfahren zu geben brauchte. „Es merken doch immer mehr Leute, was sich vor ihrer Haustür mit der Autobahn zusammenbraut“, hat Simone Ziebart in den vergangenen Wochen festgestellt. Der Deutsche Naturschutzring und die Grüne Liga wollen mit ihren Möglichkeiten jeden unterstützen, der bereit ist, den Klageweg zu gehen. Die am härtesten Betroffene, die Natur, hat nämlich keine Stimme. Zwar gewährt die Landesverfassung den anerkannten Naturschutzverbänden das Klagerecht, doch im Naturschutzgesetz wird dieses Recht bis zur Wirkungslosigkeit eingeschränkt. Mit diesem Widerspruch wird sich, nach einer Klage von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen, das Landesverfassungsgericht befassen müssen. Das geschieht aber nicht vor Juni.

„Daß wir dann noch in dieser Legislaturperiode zu einer Novellierung des Gesetzes kommen, ist unwahrscheinlich“, vermutet Klaus Gaber. „Die Regierungspartei wird weiter auf Zeit spielen und Tatsachen schaffen.“

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