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Ethische Prinzipien kommen in Mode

■ Auf dem 97. Ärztetag zeichnet sich eine Mehrheit für eine Stärkung des Solidarprinzips ab / Standesdünkel ist out

Berlin (taz) – Früher war Ellis Huber, Präsident der Ärztekammer in Berlin, das Enfant terrible seiner Standeskollegen. Sätze wie „wenn wir Gesundheit wollen, dann muß die Medizin die Wunden des Kapitalismus heilen und nicht selbst das Ausbeutersystem Gesundheit sein“ isolierten ihn. Heute hingegen „ist meine Meinung Konsens“, freut sich Huber, „die Ärzte denken nicht mehr in erster Linie an die Gebührenordnung, sondern sind sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt.“

Sein Optimismus basiert auf den Diskussionen, die seit Dienstag und noch bis Sonnabend auf dem 97. Deutschen Ärztetag in Köln geführt werden. 250 Delegierte von 17 Landesärztekammern haben sich versammelt, um im Namen von über 300.000 deutschen Ärzten ihr gesundheits- und sozialpolitisches Programm zu verabschieden, das sogenannte „Kölner Manifest“.

Trotz der Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich soll die ärztliche Versorgung nicht schlechter werden. Das Kölner Manifest appelliert an Eigenverantwortung, Subsidiarität und Solidarität. Der Dissenz ist vorgezeichnet. Der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, aber auch die Mehrheit des Marburger Bundes versteht unter „Eigenverantwortung“, daß mit der anstehenden 3. Stufe des Gesundheitsreformgesetzes das gesetzliche Krankenkassensystem neu geregelt werden müßte. Danach sollen nur noch sozial Schwache pflichtversichert sein. Obendrein sollen sie aber auch noch eine höhere Verantwortung für ihre Gesundheit entwickeln. Denn beim jetzigen System habe sich eine „Anspruchs- beziehungsweise Freibiermentalität“ entwickelt, die die Kassen in den Ruin treiben und das Solidaritätsprinzip unterlaufen, sagt Karsten Vilmar. Nur das medizinisch absolut Notwendige sollte durch die Krankenkassen finanziert werden. Alles was darüber hinausgeht, sollen die Pflichtversicherten entweder privat zahlen oder über eine private Zusatzversicherung abdecken. Mit diesen Vorstellungen – und das macht Ellis Huber so zufrieden – kam der Bundesärztekammerpräsident aber nicht durch. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) betonte, daß Leistungseinschnitte bei der gesetzlichen Krankenkasse nicht in Frage kommen und erst recht nicht, daß die gesetzlichen Kassen nur die Ärmeren versichern sollen. Auch die Delegierten waren mit Karsten Vilmar nicht einverstanden. Sie wiesen mehrheitlich Vilmars Patientenbeschimpfung zurück, bezeichneten sie als „Rückfall ins Mittelalter“ oder „Herrenreitermentalität“. Ellis Huber ist guten Mutes, daß sich beim heute beginnenden Abstimmungsmarathon über das Kölner Manifest die kritischen Ärzte durchsetzen: Mit einer Stärkung des Solidarprinzips, der Rückbesinnung auf ethische Werte und der Einsicht, daß Ärztekammer und Krankenkassen gemeinsam die gesellschaftliche Verantwortung für ein „effizentes, flexibles und preiswertes Versorgungssystem haben“. aku

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