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Wand und BodenAbgerundet froschiges Grün mündet im Schoko-Flash

■ Kunst in Berlin jetzt: Jorge Pardo, Michel Würthle, Jock Sturges

Vernissage nach Maß: Die Galerie und nichts anderes sollte es sein, was Tim Neuger /Tilmann Riemschneider zur Eröffnung ihrer Schauräume in der Goethestraße 73 zeigen mochten. Zwei milchige Kugellampen in der Fensterfront, vier weiße Wände, ein schnörkelloser Preßspantisch im Hinterzimmer und ebensolche Regale. Noch eine Lampe. Im Eingangsbereich ist oberhalb der Tür ein Spiegel angebracht worden, der dezent das Haupthaar der Gäste reflektiert, und wenn man genau hinschaut, scheinen auch die drei Fotografien von altgelb in Plastik eingefaßten Beleuchtungskörpern aus dem U- Bahnhof Fehrbelliner Platz dazu zu gehören.

Sehr viel minimaler ist der Einstieg ins Kunstgeschäft jedenfalls selten ausgefallen. Trotzdem war ein Künstler am Werk: Der Amerikaner Jorge Pardo hat das komplette innerbetriebliche Ambiente gestaltet. Die Galerie ist ein Modell, das er vielleicht sogar zu Recht „zeichnungen“ nennt. Denn die Idee bildet in jedem Fall die Grundlage der Architektur vor Ort, welche Form sie auch immer nachträglich annehmen mag. Pardo arbeitet schon seit einiger Zeit an der Verquickung von Kunst und sozialer Praxis, selbst im tumben Möbelstück steckt Kommunikationsdesign, das hier mitunter sehr karg ausgefallen ist. Aber handelt nicht andererseits auch die Malerei von den flämischen Meistern bis zu Konstruktivismus und Neuer Sachlichkeit von den Räumen ihrer Zeit? Mußte nicht Vermeer unzählige rechte Winkel zu Papier bringen, damit seine nachdenkliche Briefschreiberin ganz und gar bei sich sein konnte? Nun werden Bild und Ausführung eins.

Zumindest Platon und der Konzeptualist Joseph Kosuth, aber auch Donald Judd – Innenausstatter wider Willen – hätten ihm nicht widersprochen. Nur bei der Fassade ist die Farbe mit dem Minimalisten durchgegangen. Weithin sichtbar leuchtet ein mit Gelb abgerundetes froschiges Grün von den Außenwänden, das sich im unteren Drittel mit schokoladenbraun bemaltem Stein ergänzt.

Doch selbst dieser Flash ist eingeplantes Seventies-Revival. Als direkter Nachbar wird übrigens demnächst ein Reisebüro aufmachen, in dessen Schaufenster allerdings auch nur ein spärliches Plakat mit recht selbstbewußter Unterzeile hängt: „Die Linie stimmt.“

Bis 18.6., Di-Sa 11-18 Uhr

Die etwa achtzig Zeichnungen Michel Würthles könnten noch um eine Ecke mehr gedacht worden sein, und nicht minder offensichtlich. Die Kneipe, ein Gesamtkunstwerk: „Aufzeichnungen eines bewaffneten Schankprinzen. Im Exil 1972-1979“ gibt die Zeitspanne wieder, in der Kunst und Leben nicht als soziales Konstrukt, sondern zwangsläufig Tag für Tag zusammengehen wollten. Damals hatte Würthle von der Malerei gelassen, um mit Freunden besagtes Lokal am Paul-Lincke-Ufer zu eröffnen, in dem fortan Günther Brus, Dieter Roth und Oswald Wiener auf Neu-Berliner Kunstschulabgänger trafen. Eine Nachbarschafts-Bohème setzt sich durch.

Beuys gibt Konzerte im Billardraum, Heiner Bastian nippt zugeknöpft an seiner Weinschorle, und Martin Kippenberger sitzt mit langem Haar zunächst noch ein wenig vergrätzt an der Theke. Später schneidet er die Strähnen kurz, steigt in Unterhosen singend auf einen Küchenschemel und holt Punk ins benachbarte SO 36.

Die Wände des Exil werden bemalt, auf Bierdeckeln angeschrieben. Noch 1978 sitzen die Neuen Wilden etwas bedröppelt am Tresen und können die Zeche nicht zahlen. Wie Modigliani und alle anderen Generationen vor ihnen. Nur ein paar Wochen später schon sind sie im Dutzend berühmt, und der Schwung der Tage ist verflogen. Ein Jahr danach geht der Laden zu treuen Händen des Oberkellners, und Würthle wandert zurück nach Charlottenburg, von wo aus alles einmal als „Exil“-Bewegung anfing. Für den Rest der Geschichte braucht man ein größeres Portemonnaie. Die Zeichnungen in schwarzer Tusche aber erzählen wie Tagebuchillustrationen in wienerischem Humor von Begegnungen mit durchgeknallten, mistgabelschwingenden Öko-Bauern aus dem gallischen Dorf, und daß „nüchtern betrachtet“ auch erfolglose Künstler unerträglich sind.

Bis 4.6., Bruno Brunnet Fine Arts, Mo-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 11-18 Uhr, Wilmersdorfer Straße 60/61, Wilmersdorf

Angenommen, Jock Sturges wäre am Strand nur der, der durch die Kamera schaut, und den die zwischen neun- und zwölfjährigen Mädchen anblicken wie einen erwachsenen Freund – nicht als die ungebeten sich aufdrängende Onkelfigur, sondern als Bruder, vor dem die Angst selbst in nächster körperlicher Nähe weicht, etwa abends in von Hitze überwölbten Sommernächten, gemeinsam in einem Schlafsack, der Schweiß kittet ihre Schenkel aneinander, und dennoch gibt es keine Opfer am nächsten Morgen.

Das alles will Sturges beinahe schon zu übervorsichtig vorausschicken, wenn er seine nackten neun- bis zwölfjährigen Fast- Teens aus Kommunefamilien an der Atlantikküste und in Kalifornien fotografiert. Proustisch. Die Bilder seien „Aufnahmen von Beziehungen“, sagt Sturges, der Psychologie und Bildende Kunst studiert hat, insbesondere zu FKK- Anhängern, weil diese eben dazu tendieren, „warme und offene Menschen zu sein, wo immer man sie findet“.

Endgültig schnappt die Subnische zu, wenn Sturges dann die Mütter der Töchter mitfotografiert, denen er schon in deren Kindheit begegnet war: die Woodstock-Maschine. Anders aber als in den Bildern Larry Clarks sind die Jugendlichen nie mit ihren eigenen Wünschen beschäftigt. Eher warten sie gespannt, daß Sturges endlich auslöst.

Danielle, sein Lieblingskind aus den vergangenen Jahren, hat spröde Locken, kleine Schlupfwarzen und einen wundervoll verhangenen Blick, immer zwischen müder Gleichgültigkeit und jugendlicher Agonie.

Dreimal steht sie ihm in einem Flußbett Modell, jedesmal schließt der Wasserspiegel im goldenen Schnitt mit der kraus bewachsenen Scham ab. Vielleicht passiert sonst wirklich nichts auf dem Foto, das in der Galerie Bodo Niemann als signiertes Auflagenposter ausliegt. An diesem Samstagvormittag kaufen es vor allem Mütter um die dreißig. Auf einem der Pressemappe beigelegten Foto läßt sich Sturges dann beim Betrachten betrachten.

Das Bild von Maia Davis soll gleich einem Schutzwall den Blick des Skeptikers vor dem Urteil richten: Sturges wirkt im flachen Flußbett fast zierlich hinter seinem großen Apparat (eine Großformatkamera, 8 x 10 inch), die beiden Mädchen (diesmal merkwürdigerweise im Badeanzug, als müßten sie noch für den Ernstfall proben) haben Laura-Ashley-Frisuren und wirken mit verschränkten Armen massiger, standhafter als der 1947 in New York geborene Fotograf.

Ihre Gesichter sieht man nicht. Das Mißtrauen bleibt weiterhin eines der Außenstehenden.

Bis 4.6., Di-Fr 12-18, Sa 11-14 Uhr, Knesebeckstraße 30, Charlottenburg Harald Fricke

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